Jenseits der Arbeit

siehe auch hier

"Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung gehende Arbeitssucht." (P.Lafargue)

Mir ist durchaus bewußt, daß ich meinen Anteil an der Herstellung der zum Leben notwendigen Sachen leisten muß - allerdings haben die zur Verfügung stehenden "Jobs" damit nur wenig zu tun. Mal abgesehen von der polit-ökonomischen Orientierung der vorherrschenden Wirtschaft leben wir in einer Zeit, wie sie Lafargue schon vor Jahrzehnten begrüßte. Uns nehmen die Maschinen so viel Arbeit ab, daß wir längst nicht mehr die meiste Lebenszeit auf dem Arbeitsplatz verbringen müßten.

Angesichts der ökologischen Krise haben wir hier allerdings mehr zu bedenken: Einerseits sollten wir auf übermäßige Industrialisierung verzichten oder sie sogar "zurückbauen" (was sicher wieder mehr direkten Arbeitseinsatz erfordert), aber andererseits brauchen wir eigentlich gar nicht so viele Güter zu produzieren, wenn wir sie langlebiger und den Bedürfnissen, nicht den Werbe- und Marketinganstrengungen entsprechend herstellen würden.

Unternehmensberater setzen voraus: "Wenn Sie die Produktion auf schlanke Techniken umstellen, können Sie die menschliche Arbeit um die Hälfte reduzieren" (Womack und Jones nach Hoch, 1997) - und das bei noch vorhandener Vergeudung!

In gewissem Sinne endet damit die Arbeitsgesellschaft, die die moderne bürgerliche Gesellschaft seit Jahrzehnten prägte. Angesichts der Produktionsüberkapazitäten könnte auf die gesamte europäische Autoindustrie verzichtet werden (Rother 1997, S. 51).

Pohrt betont, daß bereits der Zweck kapitalistischer Arbeit in der Abschaffung der Arbeit besteht (Pohrt 1995, S. 163) und Dante hat mit Zahlen von 1988 nachgewiesen, daß wir mit dem gleichen Luxus und Lebensstandard wie 1989 nur 5 Stunden Arbeit pro Woche leisten brauchen (Dante 1992).

Die Vision von Marx könnte spätestens jetzt eigentlich Wirklichkeit werden. Er stellte sich vor, daß die rein reproduktive, zyklische Arbeit und auch notwendige Erweiterungen des Arbeitsfeldes nicht mehr von Menschen erledigt werden muß (was nicht ausschließt, das man es darf, so man will), sondern "Arbeit, wo der Mensch in ihr tut, was er Sachen für sich tun lassen kann, aufgehört hat" (Marx 1857/58, S. 244). Stofflich-energetische Prozesse sollen in die Naturprozesse hineinverlagert werden, damit den Menschen ihr wirklicher Reichtum, nämlich freie Zeit und reiche zwischenmenschliche Beziehungen zugute kommt. Sehr ausführlich beschreibt Marx diese Vision nicht. Er erwähnt, daß die "kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt und die Herrschaft aller Klassen mit den Klassen selbst aufhebt..." (Marx, Engels 1846, S. 70) und nochmals wiederholend : "die Proletarier (müssen), um persönlich zur Geltung zu kommen, ihre eigne bisherige Existenzbedingung, die zugleich die der ganzen Gesellschaft ist, die Arbeit, aufheben" (Marx, Engels 1846, S. 77). "Die Arbeit ist hier wieder die Hauptsache, die Macht über den Individuen , und solange diese existiert, solange muß das Privateigentum existieren" (Marx, Engels 1846, S. 50). An anderer Stelle taucht die Vorstellung auf, daß "die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden" (Marx, Engels 1846, S. 33). Dies deutet darauf hin, daß er zwar durchaus noch arbeiten will, aber selbstbestimmt und nicht mehr 10 Stunden lang von der Notwendigkeit (z.B. zur effektiven Berufsausfüllung) bestimmt.

Diese Kombination von Befreiung der Menschen von Zwangs-Arbeit zur Verwandlung der verbleibenden Arbeit in selbstbestimmte ist meiner Meinung nach eine sinnvolle Lösung der Frage "Befreiung von oder in der Arbeit", durch die Antwort: Beides: Aufhebung der Zwangsarbeit und dadurch Befreiung in der Arbeit. Nur dann kann die (veränderte/ von Zwang befreite) Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis werden (Marx 1875, S. 21).

Dies ermöglicht eine völlig andere Sichtweise auf notwendige Tätigkeiten als das Konzept, demzufolge es ja "genug Arbeit" im sozialen und ökologischen Bereich gäbe und daß sie "nur" bezahlt werden brauche. Neue Arbeitsformen zum Beseitigen der Schäden der "normalen" Lohnarbeit sind nicht gerade ein Ausweg und lenken von nötigem Umdenken ab. Gerade die Arbeit berührt den Kern der Wirtschafts- und Lebensweise und gerade an diesem Kern sollten Veränderungen ansetzen.

 


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Frithjof Bergmann:
Neue Arbeit, Neue Kultur
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