"Wir sind immer noch unterwegs, aber wir wissen nicht mehr wohin." (Z.Baumann)

 

 

Sicher gibt es communities, in denen gewußt wird, wie man post-modern zu denken hat. Meine tastenden Versuche, in diese Gedankenwelt einzudringen, entsprechen dem sicher nicht. Die Lektüre von Zygmunt Baumans "Flaneure, Spieler und Touristen" hat mir aber viele Assoziationen beschert, die mir zeigten, daß Meinungen der Postmoderne gar nicht so beliebig sind, sondern recht stimmig tieferliegenden strukturellen Verwerfungen folgen.

Die Kennzeichnung des typischen modernen Menschen als Pilger (S., der einem vorschwebenden, aber immer entfernten Ziel zupilgert, entspricht der Hoffnung, daß sich Geschichte in diesen Zielen verwirklicht. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bilden einen Gesamtzusammenhang und die reisenden Pilger folgen dabei festgelegten Wegen, sie brauchen nicht mehr wie vormoderne Wilde ihren Weg selbst zu bahnen. Dabei werden nach Bauman Identitäten konstruiert und möglichst fest und stabil gehalten. Weg, Ziel und pilgernder Mensch sind fest und stabil in ihrem Wesen verankert - hier liegt tatsächlich eine Crux bisheriger Philosophie, die auf irgendetwas Stabiles bauen will, wie auch die ansonsten recht dynamische Hegelsche Dialektik (im Absoluten/Totalen ist hier doch alles vorgegeben, Schelling würde sagen: "außer aller Zeit").

J.G. Fichtes sich von Naturnotwendigkeiten losreißender Ruf "Ich bin Ich!" erweist sich 200 Jahre später als immer noch zu einengend in einer erstarrten Subjektivität (vgl. Flusser), was durchaus mit der gesellschaftlichen Realität zu tun hat, welche die Souveränität der Menschen auf bürgerliche Marktfreiheiten und -vogelfreiheiten einschränkt.

Genau diese Realität läßt aber inzwischen mehr Spielräume und erfordert sie auch, denn der Typus des disziplinierten Fließbandarbeiters als MIET-Arbeiter ist laut neuesten Managerlehren nicht mehr gefragt, sondern der kreative, flexible, mobile und motivierte MIT-Arbeiter. Vom Arbeitsamt von einer Maßnahme in die nächste Trainingsrunde und den nächsten befristeten Job geschoben, kann man tatsächlich an keiner Identität mehr festhalten wollen. Die Jugendlichen müssen sogar auswählen, in welcher Berufssparte sie dann mal arbeitslos sein werden. Die "Tyrannei der Möglichkeiten" bleibt uns nicht erspart - und dies als Folge einer realen Entwicklung, die mit der Post-Historie (Flusser) ausgerechnet jetzt verabschiedet wird. Da es unmöglich geworden sei, die Katastrophen und Problemhaftigkeit der heutigen Welt "durch das Versprechen einer Emanzipation der gesamten Menschheit zu rechtfertigen" (Lyotard, zit. in Baumann, S. 54), wird das "Ende der Entwicklungssaga" (Baumann, S. 59) beschworen.

Diese Argumentation trifft sich mit der Negierung oder wenigstens dem Hinterfragen der Fortschitts- und Entwicklungshoffnungen durch viele Frauen und Menschen der nicht hochindustriell entwickelten Länder.

Baumanns Kennzeichnung der neuen Situation erscheint für mich sowieso nicht so besonders neuartig, denn sie benennen Inhalte, die aus den Selbstorganisationskonzepten bekannt sind und aus (post?-)moderne Evolutionskonzepten nicht wegzudenken sind (Schlemm, 1996).

Baumans Schlußsatz ist die Konsequenz aus vielen neuen Ansätzen in vielen Konzepten, hat also durchaus auch eine bestimmte Kohärenz und widerspricht der oft vermuteten Beliebigkeit:

"Wie zuvor müssen wir handeln, ohne des Sieges von vornherein gewiß zu sein. Dies war übrigens immer der Fall. Nur jetzt wissen wir, daß es so war und so ist." (Bauman S. 264)

Ich denke an dieser Stelle, daß die einfache Negation früherer Hoffnungen auf eine lineare Evolution mit der totalen Ablehnung einer "Entwicklungssaga" nicht weiterhilft. Es mag scheinen, daß "Dinge geschehen, statt einander zu folgen und zu binden" (Baumann, S. 62), oder der Fluß der Zeit in eine stete Gegenwart eingeebnet wird (ebenda, S. 145). Die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Kontextes als "bruchstückhaft" und die Lebensinteressen als "episodenhaft" (Baumann, S. 21) mag typisch sein für die post-moderne Wahrnehmung der Welt - tatsächlich jedoch ist genau diese Wahrnehmung von einer durchaus in sich "stimmigen" realen Welt hervorgerufen und sogar gefördert.

Nein, es muß noch mehr post-moderne "Identitätsvermeidungs"-Strategien geben als das von Ereignissen getriebene Sein als Spaziergänger, Vagabund oder Tourist, wie Bauman die postmodernen Gangarten typisiert.

Gerade wenn wir uns in einer durch unsere Praxis erst entstehenden Landschaft bewegen, wie es Baumann annimmt, brauchen wir die Entwürfe, auf die Flusser setzt. Aber dabei gestalten wir auch wieder Welt und Realität, was unabhängig von unserer bruchstückhaft sein mögenden Wahrnehmung neue netzwerkartige Strukturen und Landschaften bildet und damit Geschichte macht. Ja, "wir sind nicht einmal an einem Scheideweg: Soll ein Scheideweg ein solcher sein, muß es erst einmal Wege geben. Wir wissen nun, daß wir erst Wege schaffen: die einzigen Wege, die es dort gibt und geben kann - und wir tun dies einzig dadurch, daß wir sie gehen" (Bauman, S. 34).

Daß wir uns dabei selbst verändern, ist das Spannende. Nie absolut festgelegt sein - sich ausprobieren... das ist tatsächlich das Credo vor allem junger Leute. Auch ich stellte irgendwann fest, daß ich immer Angst vor dem Leben bekam, wenn "hinten in der Zukunft" eine Tür zuzuklappen schien. Ich floh diese Richtungen und ging nur dort weiter, wo ich Chancen sah, daß es "nach dem Horizont" immer weiter geht. Daß meine Spuren die Wege bilden und verwehen, damit die nächsten das Glück des eigenen Spurentretens nicht vermissen brauchen.

Daß ich mir dies leisten kann (und angesichts prekärer Jobsituation auch muß), hat allerdings schon wieder durchaus mit recht handfesten gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen zu tun. Daß viele ältere Menschen so einfach nicht leben konnten, sondern jahraus-jahrein denselben Job, dieselbe Lebensweise und Identität leben wollten/mußten, hatte auch was mit den historisch noch einschränkenden Produktionsweisen zu tun, von denen auch wir profitieren (sonst müßten auch wir als einfache Arbeitskraft-Hüllen mühsam die nötigsten Lebensmittel erarbeiten und hätten keinen freien Kopf für super- und postmoderne Gedanken frei).

Den Kontrast zwischen alt-modernen und neuen (post-modernen) Bedingungen und Lebensformen zu verdeutlichen ist unverzichtbar.

Vielleicht ist es aber auch ganz typisch für das postmoderne Streben nach "Nicht-festgelegt-werden Wollen", daß ich mich in den postmodernen Menschentypen nach Bauman auch nicht wiederfinde, sondern angeregt werden, über meine ganz spezifische Rolle als "Knoten im intersubjektiven Beziehungsnetzwerk" (Flusser, S. 14) weiter nachzudenken. Es wäre mir fad, wenn alles Tun und Lassen gleichgültig geworden wäre. Es muß "einen Unterschied machen", was ich tue und lasse. Damit bin ich sicher keine Ausnahme, deshalb werden wir neue Beschreibungen finden müssen für die innerhalb der sich selbst organisierenden Welt sich selbst organisierenden Menschen finden.

Baumann, Z., Flaneure, Spieler und Touristen, Hamburg 1997
Flusser, V., Vom Subjekt zum Projekt. Menschwerdung, Bernsheim-Düsseldorf 1994
Schlemm, A., Daß nichts bleibt, wie es ist... Münster-Hamburg 1996

 


siehe auch: Projektieren und Entwerfen mit Flusser
und zur Postmoderne

 

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