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Die Dialektik in Schellings Spätphilosophie | ![]() |
Im Rahmen der "Philosophie der Mythologie" (SW XII: 1 ff.) entwickelt Schelling eine "Folge von Möglichkeiten eines vorerst noch zukünftigen Seyns" (SW XI: 294) und erinnert an seine frühen Gedanken "einer negativen Potenz als Anfang" mit dem Satz: "aller Anfang liege im Mangel, die tiefste Potenz, an die alles geheftet, sey das Nichtseyende, und dieses der Hunger nach Seyn" (ebd.).
Sein Ziel ist die "Erkenntniß des Gegenstandes, der über allen Gegenständen ist und in dem alle begriffen sind" (ebd.: 296). Dieser Gegenstand kann nicht sein das Nichtseiende, auch nicht das einzelne Seiende sondern das ganz unbestimmte "Seyende" (ebd.). Von diesem, als Prinzip genommen, soll sich alles andere ableiten. Die Fragestellung besteht nun darin, wie wir zum Prinzip gelangen.
In Anlehnung an Platons Darlegung der dialektischen Methode, bei der "ohne alle Beihilfe der Sinne [...] nur mittels der begrifflichen Tätigkeit des Verstandes zum wesenhaften Sein eines jeden Dinges" (Platon SW 2: 275) vorgedrungen werden kann, geht es um das Erfassen der "intelligibel wirklichen Urbilder" (ebd.: 276), des "reinen Seins eines jeden Dinges von allem" (ebd.: 277). Das "wissenschaftliche Verfahren der Dialektik allein steigt, unter Aufhebung der anfänglich aufgestellten Voraussetzungen, zum Urgrunde, damit er dann unerschütterlich fest steht [...]" (ebd.).
In den Erlanger Vorlesungen (Init) hatte Schelling die "ewige Freiheit", aus der sich schließlich alles weiter entwickelte, einfach als "höchstes Gesetz" voraus gesetzt. Hier jedoch setzt er gerade die Dialektik ein, um das Prinzip zu finden, aus dem sich alles andere ergibt.
Die dialektische Methode selbst unterteilt sich in ihre positive Seite, bei der Voraussetzungen als mögliche Prinzipien gesetzt werden, und ihre negative, bei der diese Prinzipien als bloße Voraussetzungen "degradirt" werden, solange sie nicht zum Äußersten gelangen, wo nichts mehr vorausgesetzt, sondern nur gesetzt wird (ebd.: 327). Jedes gesetzte Element wird nur versuchsweise, hypothetisch, als Prinzip gesetzt und erweist sich dann lediglich als Durchgangsstufe und es ist das "Setzen jedes folgenden durch das Verneinen des vorhergehenden vermittelt" (ebd.). Dialektik ist somit "nicht beweisend sondern erzeugend; sie ist die, in welcher die Wahrheit erzeugt wird" (ebd.: 330).
Diese dialektische Methode als versuchende Aufeinanderfolge von zum Prinzip führenden Stufen ist jedoch nur ein Teil der Philosophie, sie kennzeichnet sie sog. "negative Philosophie" Schellings. Aber Schelling sucht weitergehend nach der Philosophie dessen, was nicht nur gedacht möglich, sondern was wirklich ist.
Das Überschreiten der Dialektik in der Positiven Philosophie
Auch die noch nicht ausreichende Naturphilosophie "mußte sich als Wissenschaft bekennen, in der von Existenz, von dem, was wirklich existirt, und also auch von Erkenntniß in diesem Sinn gar nicht die Rede ist, sondern nur von den Verhältnissen, welche die Gegenstände im bloßen Denken annehmen, und da Existenz überall das Positive ist, nämlich das, was gesetzt, was versichert, was behauptet wird, so mußte sie sich als rein negative Philosophie bekennen, aber eben damit den Raum für die Philosophie, welche sich auf die Existenz bezieht, d.h. für die positive Philosophie, außer sich frei lassen, sich nicht für die absolute Philosophie ausgeben, für die Philosophie, die nichts außer sich zurückläßt." (SW X: 125) Jetzt geht es darüber hinaus in der "positiven Wissenschaft" "um Wissenschaft, die das, was das Seyende Ist, das Seyende selbst [...] zum Princip hat" (SW XI: 563) Sie "geht von der Existenz aus, von der womit zugleich auch alles andere Seyn, als von jenem ersten Daß abgeleitet, in seiner Existenz erklärt, und also ein positives, d.h. die Wirklichkeit erklärendes System hergestellt wird." (ebd.) Negative und Positive Philosophie bilden gemeinsam die Philosophie, erstere, indem sie versuchend den Gegenstand erst findet und letztere, indem sie "ihn zur Erkenntniß bringt" (ebd.: 564). Die Trennlinie ist, dass das gefundene Prinzip selbst nicht mehr in der negativen Weise erklärbar und erkennbar ist. Hier ist die Grenze des Rationalen erreicht und die Erkenntnismethode wechselt fundamental. Anknüpfend an die frühere "intellektuelle Anschauung" spricht der Schelling seit 1821 hier von "Ekstase" (Init: 37) und erinnert an den Beginn der Philosophie im "Staunen" bei Plato. Ein längeres Zitat soll dies verdeutlichen:
Im weiteren Verlauf der Argumentation versucht Schelling, eine Gottesauffassung zu entwickeln, bei der Gott sich freiheitlich verhält, indem er aus seinem Grund heraus in Existenz tritt und sich dabei selbst offenbart. Dieser Grund entäußert sich in einem Willen, der "kein bewußter oder mit Reflexion verbundener Wille [ist], obgleich auch kein völlig bewußtloser, der nach blinder mechanischer Nothwendigkeit sich bewegte, sondern mittlerer Natur, wie Begierde oder Lust, und am ehesten dem schönen Drang einer werdenden Natur vergleichbar, die sich zu entfalten strebt, und deren innere Bewegungen unwillkürlich sind (nicht unterlassen werden können), ohne daß sie doch sich in ihnen gezwungen fühlte." (SW VII: 395) Dieses lässt sich nicht rational erkennen. Schon in der "Freiheitsschrift" hat Schelling unterschieden zwischen dem göttlichen Verstand, für den es ein System gibt, und Gott selbst, der Leben ist (ebd.: 399). Das diesem Leben Zugrundeliegende ist nicht nur etwas Freundliches, sondern, so wird er es in den "Weltaltern" schreiben, "der wahre Grundstoff alles Lebens und Daseyns [ist] eben das Schreckliche" (SW VIII: 339).
Die Dialektik, die Vernunft überhaupt, hat auf diesen Urgrund keinen Zugriff. Schelling fällt damit "keineswegs in einen unsystematischen Irrationalismus zurück" (Berg 2003: 335), sondern versucht (ab 1831) eine Philosophie der Mythologie und Offenbarung zu entwickeln, um sich diesem Urgrund zu nähern.
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