Die Ödipus-Sage

Hier aufgeschrieben nach der Wiedererzählung meiner 12-jährigen Tochter:

"Als Ödipus geboren wurde, ging der Vater zum Orakel und das Orakel hat ihm gesagt, daß sein Sohn seinen Vater umbringen wird. Ein Sklave sollte ihn deshalb in den Wald setzen und irgendwie die Füße zerschneiden. Aber der kleine Junge tat dem Sklaven leid und der Sklave hat den kleinen Jungen einem Hirten gegeben. Aber die Füße hatte er schon zerschnitten. Der Hirte hat den Jungen ÖDIPUS genannt und das heißt so was wie "zerschnittener Fuß". Als Ödipus groß war, ist er in ein anderes Land gegangen .... Er sah einen alten Mann, ... und brachte ihn um. Dann heiratete er eine Königin, ohne zu wissen, daß es seine Mutter war..."

In unserer Diskussionsrunde kam das etwas genauer, weil die anwesenden Gymnasiastinnen selbst übersetzte Texte dabei hatten. Die Hauptproblempunkte der Sage jedenfalls sind: Vatermord und Inzest

Zwei typische Interpretationen dazu sind:

  1. individuell-psychoanalytische Deutung: Die Sage ist ein Ausdruck der Phantasien unseres Unbewußten (jedes Kind wolle seine Mutter besitzen und die Stelle des Vaters einnehmen)
  2. historisch-kollektive Deutung: Die Sage widerspiegelte die Ersetzung des archaisichen (matriarchalen) Rechts durch das bürgerliche (patriarchale) Recht

 

Sautet verweist auf eine andere Interpretationsmöglichkeit (S. 272,296):

In der griechischen Demokratie herrscht der Herrscher (Perikles) "im Namen des Volkes", stammt aber selbst noch aus dem Geburtsadel. Er hat also quasi "seinen Vater ermordet".
Gleichzeitig hat "das Volk" sich damit selbst einen Herrscher gegeben, "der heute ihr Lager teilt"... (Inzest).

Eine Folge dieser inneren Widersprüchlichkeit der griechischen Demokratie waren die ständigen Kämpfe zwischen den Stadtstaaten und innere soziale Verwerfungen, die dann u.a. Sokrates dazu führten, über die Ursachen und Zusammenhänge nachzudenken, und das Vorhandene zu hinterfragen.

 

Literatur:
Sautet, M., Ein Café für Sokrates. Philosophie für jedermann, Düsseldorf/Zürich 1999
Schwab, G., Die schönsten Sagen des klassichen Altertums, Bindlach 1995


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