Protokoll unseres Arbeitstreffens
- Ums Menschsein geht es... - Zukunftswerkstatt Jena 2002

Protokoll 14.-16.6.2002:

Protokoll des Wochenendtreffens der Zukunftswerkstatt Jena vom 14.-16.6.2002 in Bad Sulza

Wir verbringen jedes Jahr zwei Wochenenden gemeinsam und an mindestens einem davon beschäftigen wir uns mit inhaltlichen Themen. Seit etwas über einem Jahr beschäftigen wir uns intensiv mit den Inhalten der Kritischen Psychologie nach Klaus Holzkamp und verwenden die von ihm eingesetzte und entwickelte Begrifflichkeit zum Begreifen von Themen und Zusammenhängen, die uns interessieren.

An diesem Wochenende hatten wir (wir waren 8 Personen) uns keinen Plan vorher gegeben, haben vorher keine Aufgaben zum Vorbereiten festgelegt, sondern haben das Gespräch "laufen lassen", wie es kam. Für mich – als Protokoll Schreibende – war es besonders faszinierend, dass wir in der Gruppe in der Lage sind, dass jede/r einmal eine längere Zeit einen Zusammenhang ausführlich erläutern kann, dass wir es durch Mitschreiben (jede/r für sich und auf einer Tapetenrolle auf dem Tisch) auch schafften, eine recht klare Struktur für die Thematik zu finden (also nicht allzu sehr nach Seitenthemen abzudriften, sondern uns immer wieder auf die Ausgangsfragen zurück brachten) – ohne dass jemand das Gespräch explizit leitete oder moderierte. Da wir auch wussten, dass wir Fragen ansprechen, die bisher anderswo (z.B. in Internetdiskussionen) auch höchstens gestellt und nicht eindeutig und umfassend beantwortet wurden, kam niemand in "Versuchung", bei Experten oder Expertenliteratur Hilfe zu suchen, sondern das "Selberdenken" wurde unabdingbar und machte umso mehr Spaß.

Ich verwende für diese erste Version des Protokolls meine Aufzeichnungen und die gemeinsam erstellten Notizen auf der Tapetenrolle. Ich bitte um Korrekturen und Ergänzungen durch die anderen Beteiligten.

 

FREITAG ABEND

Gleich nach der Ankunft und dem Abendessen begannen wir mit der Diskussion zur Frage: Was ist der Mensch? Was kennzeichnet das Menschliche gegenüber dem Tierischen (auch tierisch-sozialem)?

Bestimmung des Menschen - Gesellschaftlichkeit

Der Mensch –von dieser alten Erkenntnis gingen wir aus – ist durch sein gesellschaftliches Sein bestimmt. Aber was steckt hinter dieser fast losungsartigen Auffassung inhaltlich? Was bedeutet es?

Es bedeutet, dass jedes einzelne menschliche Individuum "natürlich gesellschaftlich" ist. Das heißt gerade nicht, dass er erst nur ein biologischer Organismus wäre, der dann durch "Sozialisation" die Gesellschaftlichkeit wie als Zuckerguß zum Biologischen hinzukommen würde. Das heißt, auch die menschlichen Bedürfnisse, sogar jenes, was man als "Triebe" bezeichnen könnte, ist nicht primär biologisch und dann erst gesellschaftlich "überformt", sondern bei Menschen haben sie in ihrer tiefsten inneren Natur schon einen gesellschaftlichen Charakter. (Holzkamp nennt den Hunger bei Tieren deshalb auch "Bedarf", während dieses Phänomen bei Menschen von vornherein nicht nur biologische Bedeutung hat, sondern als "Bedürfnis" von vornherein eine andere Qualität ist, nämlich die vorsorgende Absicherung dieses Bedürfnisse beinhaltet).

Damit wird klar, um zu beantworten, was das menschliche Individuum ist, brauchen wir die Klärung der Frage: Was ist das Gesellschaftliche?

Werkzeuge und Zweck-Mittel-Umkehr

Im Gespräch erinnerten wir uns an die Entstehung der Menschen (siehe http://www.thur.de/philo/kp/anthropogenese.htm) und an die Bedeutung, die die Werkzeuge bei der Menschwerdung hatten. Menschen benutzen ja nicht nur Werkzeuge und stellen sie nicht nur her (das machen auch hochentwickelte Tiere). Den Werkzeuggebrauch von Menschen und andere Werkzeugverwendungen unterscheidet folgendes:

Nicht- und Vor-Menschen erzeugen und gebrauchen Werkzeuge nur zum Erreichen eines unmittelbar zu befriedigenden biologischen Zwecks (Hungerstillen: Stock nehmen, um Banane zu erreichen). Wenn dieser Zweck erfüllt ist, wird das Mittel, mit dem er erreicht wurde, achtlos fallen gelassen und höchstens zufällig später noch einmal ähnlich benutzt.

Menschen dagegen stellen Werkzeuge her, auch wenn sie sie nicht unmittelbar und direkt zur Erfüllung eines Zwecks jetzt und sofort brauchen, sie bewahren sie auf und nutzen sie "im Falle" der sinnvollen Verwendung, falls dann mal ein Zweck dafür entsteht. Während vor der Zweck-Mittel-Umkehr (logisch und oft auch zeitlich) zuerst der Zweck da ist und das Mittel dann erzeugt und verwendet wird, ist nach der Zweck-Mittel-Umkehr das Mittel auch unabhängig vom direkten Zweck da und der Zweck kommt als zweites hinzu. Die Reihenfolge hat sich umgekehrt: "Zweck-Mittel-Umkehr". Dadurch entkoppelt sich das Mittel vom unmittelbaren Zweck. Nicht nur die Rolle und Reihenfolge von Mittel und Zweck verändern sich, sondern Mittel und Zweck verändern sich selbst:

Die Mittel werden die Mittel mehr als hergerichtete Naturgegenstände zum zweckmäßigen Gebrauch, sondern sie tragen mit sich die Bedeutung: "hergestellt zum Zweck des Gebrauchens zu diesen oder jenen Zwecken" und dies in allgemeiner Gegebenheit, nicht nur zum unmittelbar-konkreten Gebrauch. Der Hammer ist nicht mehr nur ein wie auch immer veränderter Gegenstand, er trägt die Bedeutung: "... ist gemacht zum Gebrauch des Schlagens." Diese Art und Weise, mit dem Mittel umzugehen, verändert die Art und Weise der individuellen und gemeinschaftlichen Nahrungsversorgung und Befriedigung anderer Bedürfnisse (wir nennen es im weiteren "Reproduktion" und meint jene Handungen, die notwendig sind zur Aufrecherhaltung, Weiterführung und Entwicklung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens).

Die Zwecke verändern sich auch: Ging es vorher lediglich um unmittelbar und direkt zu befriedigende biologische Bedarfsrealisierungen, ist der Zweck der Benutzung des allgemeinen Mittels "Hammer" ein allgemeinerer. Der Hammer wird als Mittel benutzt, um nicht nur unmittelbare Zwecke zu erfüllen, sondern es entwickelt sich eine Art vorsorgendes Verhalten, vorsorgende Bedürfnisbefriedigung wird immer wichtiger als allgemeiner Zweck der Mittelverwendung.

Bedeutung der Zweck-Mittel-Umkehr

Diese Zweck-Mittel-Umkehr führt dann zu den Handlungen , die üblicherweise "Arbeit" genannt wurden, also dem für Menschen spezifischen Stoffwechsel mit der Natur zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse. (Daß für jene verschiedenen konkreten Handlungen vor dem Kapitalismus ein abstrakter Begriff wie "Arbeit " angemessen verwendet werden kann, bestreiten z.B. die AutorInnen der "Krisis"-Gruppe – das ist hier nicht unser Thema).

Während solche Handlungen zuerst in einzelnen Vor-Menschen-Gruppen sicher an vielen Stellen und Orten schon einmal "erfunden" wurden, aber wieder vergessen oder untergegangen sind, kann man ab dem Moment, wo die Menschen auf der Erde nur noch über solche gesellschaftlichen Prozesse ihr Leben reproduzieren, von einem Dominanzwechsel sprechen (dazu später noch mehr). Nach dem Dominanzwechsel reproduzieren sich auch die Individuen nicht mehr nur durch individuelles oder tierrudelähnliches Sammeln und Jagen, sondern durch die Teilhabe an den durch die gesellschaftlichen Mittel auch vom unmittelbaren Tun verselbständigten gesellschaftlichen Reproduktionsprozessen. Diese verselbständigte gesellschaftliche Ebene ermöglicht es auch, dass sich zwar insgesamt genügend Menschen in geeigneter Weise daran beteiligen müssen – für den einzelnen aber nicht direkt und genau festgelegt ist, was er wie tut. Er hat eine "individuelle Möglichkeitsbeziehung gegenüber der Welt", die nur Menschen haben ("Freiheit", "freier Wille"...).(siehe http://www.thur.de/philo/kp/freiheit.htm).

Es lag zuerst nahe, diese individuelle Möglichkeitsbeziehung daraus zu erklären, dass die Menschen ein Mehrprodukt erzeugen und deswegen ein "Reservepolster" dafür haben, dass sich nicht mehr alle direkt beteiligen müssen. Aber ist diese Argumentation schlüssig? Liegt es wirklich am quantitativen Output der Gesellschaft? Das würde z.B. bedeuten, dass in Notzeiten diese individuelle Möglichkeitsbeziehung aufgehoben wäre und eine Produktionsdiktatur angebracht wäre. Ist das so? Oder hat diese individuelle Möglichkeitsbeziehung nicht etwas mit der spezifischen gesellschaftlichen Qualität des Menschseins zu tun, unabhängig vom quantitativen Output?

Rolle des Mehrprodukts und der Kultur

An vielen Stellen kommen bei unseren Überlegungen ja ähnliche Ergebnisse heraus, die wir aus marxistischen Konzepten bereits kannten. Oft gibt es aber inhaltliche Verschiebungen (wie eben die über das nur Nutzen und Herstellen der Werkzeuge hinausgehende Zweck-Mittel-Umkehr).

Als wir an der Stelle der Bedeutung der Mittel (dass also die Mittel unabhängig vom konkreten Zweck gesellschaftliche Bedeutungen tragen, d.h. auch tradieren, zur Aneignung herausfordern etc.) waren, fiel uns ein, dass dadurch die Erzeugung der Lebensgrundlagen auch effektiver erfolgen kann und dadurch vielleicht erstmals das gesellschaftliche Mehrprodukt erzeugt werden kann, das dann (im Zusammenhang mit der eben diskutieren individuellen Möglichkeitsbeziehung) auch Kultur und Religion ermöglicht, also die Freistellung einiger Menschen für künstlerische, religiöse usw. Betätigung, ohne dass sie sich an der Nahrungserzeugung beteiligen müssen. Wir erinnern uns, das so aus unserer marxistischen Bildung entnehmen zu können (ob es genau stimmt, wissen wir jetzt nicht genau, da müsste mal jemand bei Engels in der "Menschwerdung"... und z.B. den diesbezüglichen Lehrbüchern nachlesen).

Braucht Kultur Mehrprodukt?

Jetzt kam aber bei uns die Vermutung auf, dass das vielleicht nicht notwendig ist. Muß es unbedingt ein Mehrprodukt in dem Sinne geben, dass das "notwendige Produkt" die Reproduktion ermöglicht und das Mehrprodukt eine Reserve bietet, die den Freiraum für Kultur usw. ermöglicht? Oder anders herum: Braucht Kultur ein Mehrprodukt?

Als Gegenthese wurde behauptet: Für menschliche Gesellschaften gehört Kultur etc. bereits zur notwendigen Produktion und ist eben nicht "Luxus" aus einem "Mehr"-Produkt heraus.

Daß ein Mehrprodukt mehr Freiräume für Kultur bietet, ist unbestritten. Die Frage ist, ob das Mehrprodukt unbedingt gebraucht wird, ehe Kultur möglich ist.

Wir kamen wieder darauf, dass wir genauer verstehen müssen, was "Gesellschaft" bedeutet. Daß die Mittel dabei eine große Rolle spielen, daran werden wir uns erinnern müssen.

Irgendwann wurden wir dann alle müde... schwätzten noch eine Weile über andere Themen und sanken dann in die Betten.

SAMSTAG

Da zwei Beteiligte erst heute anreisen konnten, wollten wir den (Gesprächs-)Tag mit einer Wiederholung des gestern abend Diskutierten beginnen. Nach einem gemütlichen Frühstück und einer kleinen Runde in der Sonne (während wir noch auf eine Teilnehmerin warteten), ging es los:

Zweck-Mittel-Umkehrung II

Wir begannen wieder mit der Zweck-Mittel-Umkehrung. Zusätzlich zur schon beschriebenen Erklärung haben wir zusammengefasst, dass die Mittel nach der Zweck-Mittel-Umkehrung

  • mehrfach zu dem gleichen Zweck oder auch
  • für andere Zwecke

eingesetzt werden können, wurde auch festgestellt, dass diese Mittel nun weiter optimiert werden können, eine Individualisierung und auch ästhetische Veränderung (Schnitzen des Stocks, Verzieren der Krüge) erfolgt und dadurch auch neue Zwecke erreicht werden können (d.h. die Bedürfnisse können sich weiter verändern)

Nebenbei: dass die Zweck-Mittel-Umkehrung erfolgte, beweist wieder einmal die Durchsetzung des "Prinzip der maximalen Faulheit": Warum soll sich jedes Individuum neu auf die Suche und das Herrichten eines Stockes machen, wenn es auf einen bereits gebrauchten, für mehrere zur Verfügung stehenden Stock zurückgreifen kann?!

 

Was bedeutet das nun für die Fragestellung: Was macht das Menschliche aus? Was ist Gesellschaft?? Wir stellten fest, dass diese Fragestellungen eng zusammen hängen:

 

5-Schritt-Methode

Die gegebenen Strukturen sind in historischen Prozessen entstanden und haben sich entwickelt. Es ist oft sinnvoll, den Entstehungsprozeß von etwas zu untersuchen. Dabei ist etwas Neues nicht plötzlich da, sondern seine Anfänge und seine Durchsetzung sind oft langwierige Prozesse.

In der marxistischen Dialektik sind die sogenannten "Gesetze der Dialektik" bekannt (Widersprüche, Umschlang Quantität/Qualität, Negation der Negation). Eine viel genauere Analysemethode von Entstehungsprozessen wendet Klaus Holzkamp an verschiedenen Stellen in seiner "Grundlegung der Psychologie" an.

(siehe auch: http://www.thur.de/philo/kp/5_schritt.htm)

Dabei wird nicht empirisch-zeitlich eine Entwicklung "beobachtet" und beschrieben, sondern es wird im Nachhinein untersucht, wie das, was entstanden ist (das ist ja im Nachhinein bekannt) möglich werden konnte und durch welche gegenseitigen Beeinflussungen es entstand und sich durchsetzte. Das Entstehen und sich-Durchsetzen ist dabei unterschieden. Vieles entsteht zwar, kann sich aber gegenüber konkurrierenden, anderen neuen Formen (neu gegenüber dem vorher vorherrschenden) nicht durchsetzen, sondern bleibt unwesentlich oder vergeht wieder. Deshalb wird zwischen "Funktionswechsel" (Entstehen; Vorhandensein, aber noch nicht durchgesetzt)und "Dominanzwechsel" (sich gegenüber anderen, der früheren dominierenden Form und konkurrierenden durchgesetzt haben) unterschieden.

Wir machten uns nun daran, diese Analyse für die Menschwerdung, speziell die Zweck-Mittel-Umkehrung zu diskutieren (die zitierten Erklärungen der Schritte jeweils nach Holzkamp):

1. Schritt: Ermöglichende Bedingungen

"Aufweis der realhistorischen Dimensionen innerhalb der jeweils früheren Stufe"

Zuerst interpretierten wir dies entsprechend einem Poster vom Seminar im März 2001 in Hütten, das uns als Foto vorliegt, als "Entstehen der neuen Keimformen, die die spätere Entwicklung bestimmen". Später ist uns anhand der bei Holzkamp selbst verwendeten Fälle (Entstehung der Psyche und Entstehung der Menschen) aufgefallen, dass Holzkamp da etwas anderes meint: er weiß zwar schon, worauf er inhaltlich hinaus will (das, was dann zuerst keimformhaft entsteht), aber in diesem Punkt geht es nur darum zu schauen, ob dafür vorher überhaupt die Voraussetzungen gegeben waren. Damit Menschen (später) gesellschaftlich leben können, muß ihre individuelle Lernfähigkeit sich schon in der Vor-Menschenzeit auf ein bestimmtes Niveau entwickelt haben (obwohl es damals noch tierisch, nicht menschlich war). Es ist dafür auch sehr weit entwickeltes Sozialverhalten in der Tier- bzw. Vor-Menschengruppe vorauszusetzen usw., usf.

2. Veränderung der Beziehung zur Umwelt

"Aufweis der objektiven Veränderungen der Außenweltbedingungen, mit denen der "innere" Entwicklungswiderspruch... in seinem Umweltpol zustandekommen soll"

Dieser Schritt widerspricht etwas der klassischen Dialektik, weil bei der alles aus nur inneren Widersprüchen sich entwickeln soll. Das funktioniert aber für die biotische Entwicklung nur, wenn man das "Innere" sehr weit fasst, bis in die kosmischen Einflüsse der Asteroideneinschläge hinein. Hier wird das nicht in dieser Weise umbenannt, sondern festgestellt, dass innere Entwicklungstendenzen mit Möglichkeiten für Neues auch eine Veränderung der Umwelt der sich entwickelnden Einheit erfordert (wäre für die Biologie z.B. der Selektionseinfluß, während die Mutation etwas Inneres ist).

Daß sich die Umwelt drastisch ändert, kann auch durch innere Veränderungen hervorgerufen sein – in der Biologie z.B. wenn die Anzahl der Organismen in einer Population so stark wächst, dass für diese Population Nahrungsmangel auftritt. Wichtig ist also nicht irgendeine Veränderung der Umwelt an sich – sondern der Beziehungen zur Umwelt.

Für die Entwicklung der Menschen ist eine Veränderung der Umwelt in Afrika in dieser Zeit nachgewiesen. Es haben sich auch nur in diesen Regionen, in denen solche drastischen Veränderungen stattfanden, die Entwicklungsansätze ausgeprägt, während in den eher unveränderten Regionen sich die Affenpopulationen nur gering verändert haben.

3. Funktionswechsel

"Aufweis des Funktionswechsels der (im ersten Schritt) aufgewiesenen relevanten Dimensionen als "Organismus-Pol" des Entwicklungswiderspruchs, damit der Entstehung des ersten qualitativen Sprungs der Herausbildung der Spezifik der neuen Funktion unter den veränderten Außenbedingungen"

Jetzt entsteht das Neue. Aber noch innerhalb der alten Grundbedingungen, d.h. der früheren Grundqualität. Das Neue entsteht i.a. nicht plötzlich, sondern es werden vorher schon vorhandene Bedingungen und Gegebenheiten so "umfunktioniert", dass sie neuen Funktionen dienen können (das lässt sich an der Entwicklung verschiedener Organe im Tierreich gut nachweisen).

Für unsere Fragestellung ist die Zweck-Mittel-Umkehr der wichtige Funktionswechsel. Das Mittel erhält neue Funktionen und verändert sich damit – oft in seiner äußeren Struktur, aber vor allem in seiner Bedeutung. Es ist nicht mehr ein beliebig gebrauchter Naturgegenstand zum direkten Befriedigen unmittelbarer Bedarfszwecke, sondern er ist produziert worden, um nicht nur einmal, sondern im verallgemeinerten Sinne Zwecke zu erfüllen und trägt sein "gemacht-worden-sein-zu" als gesellschaftliche Bedeutung mit sich herum. Es geht uns dabei nicht um das Mittel (als wären die Mittel das Wichtigste an der Menschwerdung)– sondern das Mittel erweist sich als Mittel zur Erneuerung der Art und Weise der individuellen und gemeinschaftlichen Nahrungsmittelbeschaffung und anderer Tätigkeiten. Diese sind der eigentliche Inhalt des einander entsprechenden Mensch- und Gesellschaftsentstehungsprozesses.

Zuerst kann sich diese neue entstandene Art und Weise des Zusammenlebens von Vor-Menschen noch nicht gegenüber den biologischen Evolutionsgesetzen durchsetzen. Solange noch Vor-Menschengruppen ausgestorben sind, weil sie mit ihrer Umwelt nicht genügend zurecht kamen, dominierten noch die biologischen Gesetze gegenüber der Möglichkeit, durch geeignete Mittelverwendung die Umwelt zugunsten der Vor-Menschen/Menschen zu verändern, sie sich auf geeignete Weise anzueignen und zu verändern (das ist kein "Anpassen" mehr).

In vielen Gruppen wird diese Art und Weise des Umgangs mit Mitteln zur Bedürfnisbefriedigung "erfunden" worden sein, und wurde wieder vergessen oder ist untergegangen... über viele Jahrhunderttausende. Letztlich sind aber alle, die es nicht lernten, untergegangen, denn es gibt keine dieser Vor-Menschengruppen mehr (und die jetzigen Affen sind ja jene, die diese Funktionswechselschritte gar nicht erst begonnen haben). Es haben sich immer mehr jene Gruppen mehr vermehrt (und damit sind ihre Gene erhalten geblieben), die es besser verstanden, mit Mitteln kooperativ und vorsorgend umzugehen. Es haben sich jene vermehrt und sind übrig geblieben, die nicht etwa besser gekämpft hätten, oder stärkere Muskeln entwickelt haben, oder sich besser gegenseitig ausgetrickst hätten – sondern jene, bei denen sich die Fähigkeit und die Bedürfnisse nach kooperativ-vorsorgender Teilhabe an der gemeinsamen/gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung (sprich auch "Arbeit") entwickelten. Auf diese Weise wurden auch die vorher nur-biologisch festgelegten Merkmale der Psyche und des Sozialverhaltens (neben der Anatomie) "natürlich gesellschaftlich". Menschen werden schließlich sogar von vornherein nicht mehr nur als Tiere geboren (das wird manchmal angenommen, wenn man denkt, nur die "Sozialisation" zwinge das Individuum in die Gesellschaftlichkeit), sondern mit Bedürfnissen nach gesellschaftlicher Teilhabe, die wenn sie beim Kleinkind nicht befriedigt werden, sogar zum biologischen Tod führen können.

Auf diese Weise steckt die Gesellschaftlichkeit der Menschen sogar in ihrem genetischen Erbe, ohne dass das bedeuten müsste, dass es ein "Gesellschaftsgen" geben würde.

4. Dominanzwechsel

"Dominanzwechsel: neue Qualität des Gesamtprozesses gegenüber dem früheren Gesamtprozeß, die früher qualitativ spezifische Funktion wird die für die Systemerhaltung bestimmende Funktion"

Jene Gruppen, die noch aus ausgestorben sind, weil sie sich mit ihrer gesellschaftlichen Reproduktionsweise nicht gegenüber den biologischen Selektionsmechanismen durchsetzen konnten, waren noch keine Menschen. Erst als die gesellschaftliche Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung gegenüber den biologischen Gesetzen dominierte, kann man von einer Durchsetzung der neuen Qualität "Menschsein = Gesellschaftlichkeit" sprechen.

Das bedeutet auch: Für Menschen ist es nicht mehr möglich, wie Tiere zu leben. Menschliches Leben kann nicht mehr zurückfallen in tierisches Sein. In jedem Individuum steckt die Gesellschaftlichkeit drin (in welchen Formen auch immer). Auch ein scheinbar "unmenschliches" Verhalten ist das durch irgendwelche Gründe hervorgerufenes menschliches Verhalten.

Auch Robinson auf seiner Insel blieb Mensch, der seine Gesellschaftlichkeit mit seinem Wissen und seinen Bedürfnissen nach Haus und Bett usw. mit sich trug

Die sog. "Wolfskinder" – d.h. Kleinkinder, die bei Tieren aufwuchsen - sind eine Streitfrage... Auf jeden Fall müssen sie ihre Säuglingsphase noch in der menschlichen Gesellschaft durchlaufen haben, sonst hätten sie nicht überlebt.

5. Umgestaltung der gesamten Einheit

"Aufweis der Umstrukturierung und neuen Entwicklungsrichtung des Gesamtsystems"

Während wir in den Punkte 1. bis 4. auf einen besonderen Prozesstyp besonders geachtet haben, nämlich die Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung durch Mittel, d.h. die Reproduktionssphäre, hatten wir uns dafür entschieden, diesen Prozesstyp und diese Sphäre als die für die menschliche Entwicklung wesentliche anzunehmen. Wir erwähnten oft zwischendurch, dass viele andere Prozesstypen und Sphären sich eigentlich "automatisch mit verändern", wie die Kultur, die Kommunikation, die Psyche, das Sozialverhalten etc., etc...

In diesem Schritt wird analysiert, dass und wie der sich durchsetzende neue Charakter des besonderen, bestimmenden Typs nach seiner Durchsetzung (nach dem Dominanzwechsel) die gesamte grundlegende Einheit (hier: die Gesamtgesellschaft) umgestaltet, umwandelt, alle anderen Faktoren und Momente verändert. Es ist dabei auch wieder nicht so, dass die vorher vorhandenen Prozesse (z.B. der Kommunikation, der Psyche wie Emotionalität etc.) nur "gesellschaftlich überformt" würde. Daß also das Biologische eigentlich beibehalten würde, und das Gesellschaftliche nur wie ein Zuckerguß darüber kommt. Sondern das, was früher biologisch war, ist selbst menschlich geworden ("Bedarfe" werden zu "Bedürfnissen", beinhalten also die erweiterte Reichweite nach vorsorgender Bedürfnisbefriedigung).

Uns wird bei dieser Methode noch einmal deutlich: Es geht nicht darum, reale empirische Geschehnisse zu beschreiben oder nachzuerzählen. Es geht darum, das Vorhandene und seine Strukturen und Strukturtypen in ihren Zusammenhängen besser zu verstehen. Und dazu ist es oft sinnvoll, ihre Voraussetzungen, Bedingungen und gegenseitigen Beeinflussungen anhand der historischen Methode (und für Entstehungsprozesse, d.h. Qualitätsumbrüche auch die 5-Schritt-Methode) zu untersuchen. "Anhand" bedeutet hier, wir betrachten es "mit der Brille der Nachfrage nach historischen Bedingungen und gegenseitigen Abhängigkeiten".

Wir tun nicht so, als wüssten wir im 1. Schritt noch nicht, was dann passiert. Sondern wir fragen ja von vorn herein nach der Entstehung dessen, von dem wir wissen, dass es entstanden ist, weil es existiert. Wir klären auch vorher, welchen Prozesstyp wir als den wesentlichen für die ersten 4 Punkte betrachten. Damit entscheiden wir schon, welche "Brille" wir aufsetzen. Andere können andere aufgesetzt haben und wenn wir dies nicht mit berücksichtigen, können wir uns über empirische Fakten oder Beispiele ewig streiten und werden uns nicht verstehen oder gar einigen oder gar voneinander lernen können.

Weil diese Methode exakt nur "im Nachhinein" funktioniert, hat ihre Verallgemeinerung "für alle Entwicklungsprozesse" und gar die Zukunft ihre Tücken. Ich kann mit dieser Methode nicht nachweisen, was passieren wird. Ich weiß aber: Wenn neue Qualitäten entstehen, dann wird in Zukunft ihre Vergangenheit auf diese Weise (mit einer Brille) betrachtet werden können.

Und Menschen haben die geniale Fähigkeit, sich geistig auch schon mal in die Zukunft versetzen zu können und testweise diese Methode für irgend etwas durchprobieren, von dem sie wollen, dass es in Zukunft existiert (3. und 4.). Dabei erfahren sie dann z.B. im ersten Punkt, welche Voraussetzungen dafür notwendig sind (sein werden) und was es bedeutet, den Dominanzwechsel zu schaffen (4.) und darüber nachzudenken, was das für andere Faktoren bedeutet (5.).

Aber das ist dann wieder ein anderes Thema...

Ich weiß jetzt gar nicht mehr, wann wir an diesem Punkt waren. Auf jeden Fall sind wir am Samstag noch in der Toskana-Therme in Bad Sulza gewesen (schwebend in Wasser-Musik) und zwei von uns haben die Rudelsburg erkundet. Nach dem Abendbrot ging es dann aber noch einmal weiter...

SONNTAG

Heute nahmen wir uns vor, das, was wir gestern diskutiert hatten, auf die Fragen vom Freitag abend anzuwenden.

Wir haben erarbeitet, dass die Zweck-Mittel-Umkehr den Kern dessen ausmacht, was sich in der Menschwerdung ereignet hat und die Menschen zu Menschen machte und dazu führte, dass Menschen "natürlich gesellschaftlich" sind.

Die Bedeutung der "natürlichen Gesellschaftlichkeit" der Menschen

Wenn in der Gesellschaftlichkeit das Wesen der Menschen steckt, dann hat das eine große Bedeutung für mindestens zwei Fragen:

A) jedes einzelne Individuum trägt die Gesellschaftlichkeit in sich (sie muß nicht irgendwie zu ihm "hinzukommen")

B) Das allgemeine Verhältnis "Mensch-Natur" (Ökologie) kann dadurch neu verstanden werden.

Wir unterhielten uns eine Weile über die Behauptung, dass die Menschen "von Natur aus kriegerisch" seien. Dies widerspricht aber unseren Erkenntnissen.

Wir erinnerten uns dabei auch an unser Seminar über historische partnerschaftliche Gesellschaftsformen (siehe http://www.thur.de/philo/frauen.htm) und Katja erzählte nochmals die Inhalte ihres damaligen Vortrages.

Von der Kooperation zur Gesellschaft

Als wir erneut versuchten, zu formulieren was denn nun "die Gesellschaft" sei, begannen wir mit dem Satz: "Gesellschaft ist durch die Art und Weise bestimmt, wie Menschen mit den Mitteln zu welchem Zweck umgehen..." . Daraufhin kam der Einwurf, dass dies auch schon für Kooperationen zutrifft.

Wir haben zu unterscheiden zwischen verschiedenen Handlungstypen, die sich durch ihre Reichweite unterscheiden (siehe auch in: http://www.thur.de/philo/naturmensch.htm Punkt A):

1. Operationales und interaktives Handeln: hier wird das Tun eines Individuums betrachtet, das nicht mehr nur direkt und unmittelbar einen biologischen Bedarf befriedigt, sondern "herumprobiert" und dabei sein Tun durch Versuch-Irrtums-Erfahrungen variiert. Wenn sich verschiedene Individuen dabei zusammen tun, ist dies eine Interaktion. Dabei liegt den gemeinsamen Aktivitäten noch kein Ziel zugrunde.

2. Kooperation

Kooperation wurde bestimmt als "gemeinschaftliches Zusammenwirken zum Erreichen eines Ziels". Dabei sind die Individuen aber noch selbst alle beteiligt. Zur Kooperation gehört nur, wer mitmacht. Wer nicht mitmacht, gehört nicht dazu. Auf dieser Ebene bewegen sich die Vorschläge von Christoph Spehr für "Freie Kooperationen" (siehe http://www.thur.de/philo/kooperation.htm).

Kooperationen unterscheiden sich von Interaktionen dadurch, dass die einzelnen Beteiligten nicht mehr jede und jeder selbst unmittelbar auf einen Zweck hinstreben, sondern die kooperative Abstimmung so weit geht, dass einzelne sogar etwas tun, was – für sich allein gesehen – dem Zweck gar nicht entspricht (wenn ein Treiber bei der gemeinsamen Jagd, das Tier von sich wegtreibt in Richtung der anderen Beteiligten, die es dann erlegen und ihn am Jagderfolg beteiligen. Hier sind nicht die Jagden von Wolfs- oder Löwenrudeln gemeint, weil da keine wirkliche Abstimmung erfolgt, sondern instinktive, genetisch verankerte und durch soziales Lernen angereicherte Aktivitätsabläufe stattfinden).

Kooperatives Handeln ist aber selbst noch nicht direkt gesellschaftliches Handeln. Und die Gesellschaft ist nicht nur die Summe, oder das Zusammenwirken von vielen Kooperationen (wie z.B. Christoph Spehr annimmt).

Gesellschaft

Gesellschaft hat – erst mal eher formal bzw. abstrakt gesehen – folgende Eigenschaften:

  • sie ist verselbständigt gegenüber dem Handeln des Einzelnen oder Interaktionen oder Kooperationen
  • sie hat eine Eigendynamik, d.h. sie folgt eigenständigen Tendenzen, bzw. "Gesetzen" (Eigengesetzlichkeit)
  • sie hat einen eigenständigen "Systemcharakter" (wobei zu beachten ist, dass sie kein abstraktes System darstellt. Bei einem abstrakten System würde von der Eigenart der Elemente abgesehen und Elemente würden als einander äquivalent und beliebig austauschbar angesehen. Gesellschaft dagegen bildet dagegen eine dialektische Einheit (auch "Totalität" genannt), bei der gerade durch die Besonderheit der enthaltenen Momente die Einheit entsteht und sich erhält.)
Dies gilt für alle eigenständigen Systeme (bzw. dialektische Einheiten), deshalb war diese Bestimmung noch formal-abstrakt. Auch die biologische Welt stellt gegenüber der Physik/Chemie solch eine Verselbständigung mit Eigendynamik und eigenem Systemcharakter dar. Zur Bestimmung des Charakters von Gesellschaft muß noch konkret inhaltlich etwas gesagt werden.

Inhaltlich nehmen wir wieder Bezug auf die Bedeutung der Mittel für menschliches Handeln, für die menschliche Bedürfnisbefriedigung. Wir stellen fest, dass dadurch, dass die Mittel eine gesellschaftliche Bedeutung tragen ("gemacht worden zur Verwendung für..."), diese Welt der Mittel und ihrer Bedeutungen sich verselbständigt von dem unmittelbaren Tun der Menschen zur Erfüllung direkter Ziele (also von Interaktionen und Kooperationen).

Wir trugen dann folgende Merkmale von Gesellschaft zusammen:

  • Mittel tragen gesellschaftliche Bedeutung
  • spezifische (überkooperative) Art und Weise der Verwendung der Mittel
  • dadurch kann sich auch eine Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Kooperativen entwickeln (eine muß nicht mehr alle Tätigkeiten zur eigenen Reproduktion ausführen, sie können sich auch austauschen, spezialisieren...)
  • die Mittelbedeutung ist unabhängig vom einzelnen Individuum (das einzelne Indivdiuum eignet sie sich in ihrem Lebensprozeß an).
  • Diese Verselbständigung der Mittel ist die notwendige Bedingung für die "individuelle Möglichkeitsbeziehung" der einzelnen Menschen gegenüber der Welt.

Damit können wir dann auch die Rolle der Produktivkraftentwicklung begründen. Einerseits entwickelt sich jede Generation Menschen anhand der ihnen geschichtlich überlieferten Mittel die Errungenschaften der gesamten bisherigen Evolution an und ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse wachsen. Andererseits entwickeln sich jene Bedeutungen weiter, die die Mittel selbst in die Zukunft tragen.

Diese Bestimmung von Gesellschaftlichkeit führt zu wichtigen Schlussfolgerungen:

-> Gesellschaft reproduziert sich (durch das Tun genügend vieler Menschen) quasi selbst – sie bildet einen Reproduktionszusammenhang, bei welchem dem Einzelnen seine Funktion nicht unmittelbar zugewiesen wird. Der Einzelne hat der Gesellschaft gegenüber eine spezifische "individuelle Möglichkeitsbeziehung" (mehr dazu siehe: http://www.thur.de/philo/freiheit.htm).

-> die Einflussnahme auf Gesellschaft kann nicht durch Individuen allein oder nur Interaktionen oder nur Kooperationen erfolgen (so wichtig die Rolle des Individuums auch ist!), die Eigengesetzlichkeit kann nur durch gesellschaftliches Handeln der vereinigten Individuen verändert werden (bzw. verändert sich von selbst insofern, als nicht mehr funktionierende Dynamiken zum Zusammenbruch der Gesellschaft führen können, wenn das Handeln nicht erfolgt).

Empirische Beschreibung oder Kategorie

Es ist ein Unterschied, ob wir Worte zur verkürzten Beschreibung empirisch vorfindbarer Erscheinungen benutzen (quasi zum "Etikettieren"), oder ob wir sie eher als "Brille" benutzen, durch die wir die Welt sehen (Kategorien). Für die Bestimmung von Gesellschaft ist noch folgendes zu beachten:

I: Die Vorstellung von "Gesellschaft" bedeutet zuerst einmal, dass man an Menschen denkt und sich dann vorstellt, "alle Menschen zusammen" seien die Gesellschaft. Dies wäre der empirische Begriff von Gesellschaft. Die Einheit wäre dann eine Einheit vieler Menschen.

II. Als Kategorie wird "Gesellschaft" begriffen, wenn nicht die einzelnen Individuen ihre Elemente, bzw. Teile sind, sondern wir verschiedene Prozesstypen, die das Qualitative der Gesellschaft ausmachen, die ihre Existenz und Entwicklung "tragen", als ihre Momente betrachten. Das könnten die Prozesstypen "Arbeit", "Kommunikation", "Kultur" etc., etc. sein. Die dialektische Einheit zu begreifen erfordert dann die Untersuchung der gegenseitigen Beziehungen dieser Momente und nicht das Ausgehen von einzelnen Menschen.

Ökologie

Nun blieb noch übrig, über die Schlussfolgerungen der "natürlichen Gesellschaftlichkeit" für die Ökologie zu sprechen. Wir konnten das nur ansatzweise beginnen.

Wenn das Gesellschaftliche von Natur aus in uns steckt, gibt es keinen Widerspruch zwischen Gesellschaft und Natur, wie er oft angenommen wird. Unsere Natur ist die Gesellschaftlichkeit. Gesellschaftlichkeit ist unsere Natur. Ein "Zurück zur Natur ohne Gesellschaftlichkeit" kann es nicht geben.

Die Art und Weise unserer Gesellschaftlichkeit, die Art und Weise des Umgangs mit der nichtgesellschaftlichen Natur-"umwelt" kann aber verschieden sein und hier gilt es durchaus Forderungen aufzustellen.

Für die Natur bedeutet das, dass die Gesellschaftlichkeit aus ihr heraus, in ihr, als eine ihrer Formen entstanden ist, die ein relatives Eigenleben gewinnt. Aber die Entwicklung der Gesellschaft ist Bestandteil der "Natürlichkeit des Kosmos" und die Veränderungen, die die Menschen in der Natur hervorrufen, sind nichts außer-Natürliches, nichts wider-natürliches, sondern eine der Formen ihrer Veränderung.

Dabei muß ja beachtet werden, dass die Natur ohne Menschen auch nicht stabil, unverändert bleibt, sondern sich immer fort entwickelt. "Die Natur ist kein Vorbei..." beschrieb das Ernst Bloch.

Zusätzlich muß natürlich bedacht werden, dass die heutige Gesellschaftsform Zerstörungen der natürlichen Lebensgrundlagen mit sich bringt, die nicht tolerierbar sind. Der Ausweg ist aber nicht der Verzicht auf jegliche Naturveränderung, weil das der Verzicht auf menschliches Leben wäre.

Wir sehen hier eine analoge Situation:

Für die Gesellschaft sehen wir, dass sich das einzelne Individuum nur frei entwickeln kann, wenn sich alle anderen auch frei entwickeln können. (Auch dies ist vor allem in der jetzt herrschenden Gesellschaftsform strukturell sehr behindert, aber in der Negation zeigt sich das Grundsätzliche: wir sehen auch, dass die Entfaltung des einzelnen Individuums behindert wird, wenn andere darin behindert sind und umgekehrt...)

Für das Verhältnis von Gesellschaft und Natur gilt dasselbe:

Die Gesellschaft kann sich nur weiter entwickeln, wenn sie ihr Naturverhältnis vernünftig entwickelt – die Natur kann zu neuer Blüte kommen, wenn die gesellschaftlich erzeugten Formen (sog. Kulturlandschaften...) sie bereichern...

Dieser Text kann (konnte) diskutiert werden als Open-Theory-Projekt.

Neu gefundene Literatur dazu: Jens Brockmeier: Marx΄ Affe. Zur anthropologischen Deutung der menschlichen Arbeit und ihrer Kritik aus anthropogenetischer Sicht. forum Kritische Psychologie 11 (1983), Argument-Sonderband 93, Argument-Verlag, S. 170-196.

 

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