Eine neue Art von Utopien
- Diskussionen zur Freien Kooperation -

Es geht um eine völlig neue Art des Veränderns! Es geht nicht wieder darum, eine "neue Ordnung" einzuführen - die dann eben doch wieder ihre Ecken und Kanten haben wird.

(zitierte Seitenzahlen aus Christoph Spehr: "Gleicher als Andere")

Es geht DIESMAL darum, KEINE NEUE ORDNUNG einzuführen, sondern NUR die Rahmenbedingungen dafür, daß alle Menschen frei ihre Kooperationen wählen können.
"Es geht immer um den Mechanismus, nicht für andere definieren zu wollen und zu können, wie ihre Kooperationen auszusehen haben, wie sie "richtig" sind, aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie dies frei aushandeln können..." (S. 27).
Das bedeutet:

  • Hinterfragen/Kritisieren von "Eigentum, Verfügungsgewalt, physische und strukturelle Gewalt, Zugang zu den Ebenen, auf denen Normen gesetzt und die Regeln verhandelt werden" (hier und im Weiteren zitiere ich Spehr, S. 5).
  • vorgefundene Regeln müssen immer veränderbar sein (S. 11)
  • Gleichheit bezieht sich nicht auf Einheitlichkeit z.B. des Sozialen, sondern auf "gleiche Verhandlungsmacht" (S. 24)

"Freie Kooperation" als Zielvorstellung ist nicht durch bestimmte vorgegebene Inhalte definiert, sondern nur durch Absicherungen (S. 22):

  • überkommene Vorstellung von Verfügungsgewalt, Besitz, Arbeit, Regeln stehen vollständig zur Disposition, d.h. können jederzeit neu ausgehandelt werden (also auch von Eigentum, insofern es die Belange anderer Menschen berührt, z.B. zur Erpressung anderer Menschen führen könnte, wie mehr als selbst benötigter Wohnraum, Produktionsmittel etc...).
  • Beteiligte müssen frei sein, die Kooperation zu verlassen (sie müssen also z.B. leben können, ohne erzwungene Loharbeitsleistungen zu erbringen)
  • der gleiche und vertretbare Preis der Einschränkung/des Verlassens der Kooperation ist die oben gesuchte (siehe Zitat von S.27) Bedingung einer freien Kooperation.

Zusammenfassung: "In einer freien Kooperation kann über alles verhandelt werden; es dürfen alle verhandeln; es können auch alle verhandeln, weil sie es sich in ähnlicher Weise leisten können, ihren Einsatz in Frage zu stellen." (S. 22).

Eine solche "Utopie" der freien Kooperation ist:

  • nicht preskriptiv,
  • nicht elitär,
  • nicht hierarchisch,
  • keine Form des politisch getarnten Eskapismus (S. 32).

"Sie versucht nicht, die Welt zu verbessern, sondern nur, den Menschen den Rücken zu stärken." (S. 32). Und nochmal: "Freie Kooperation setzt nicht die Regeln, sie stärkt die gleiche Verhandlungsposition der Akteure." (S. 53).

"Die Faustregel realistischer Kooperation lautet: Für jeden Einzelnen muß es besser sein, daß er/sie an dieser Kooperation teilnimmt, als wenn er/sie es nicht tut; und für die Kooperation muß es besser sein, daß der/die betreffende Einzelne dabei ist, als wenn er/sie es nicht ist. Andernfalls ist die Kooperation entweder ausbeuterisch oder erzwungen, oder moralisch überzogen und auf Dauer nicht haltbar." (S. 55)

Was kann man also politisch tun, wenn nicht eine "bessere Welt schaffen"? Sich zurücklehnen? Nein: politische Organisierung "greift ein in gesellschaftliche Auseinandersetzungen, provoziert sie, regt sie an, wirft Interpretations- und Lösungsmöglichkeiten hinein.... (sie) setzt nicht Lösungsmöglichkeiten durch, sondern korrigiert und kompensiert den Preis, zu dem einzelne Akteure handeln und verhandeln können." (S. 72)

zitiert:

Spehr , Christoph, Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation - zugleich Beantwortung der von der Bundesstiftung Rosa Luxemburg gestellten frage: "Unter welchen Bedingungen sind soziale Gleichheit und politische Freiheit vereinbar?" - gegen 9 DM bestellbar bei C. Spehr (YetipressATcs.com)

Fri, 24 Nov 2000 From: Graskraft-Info <infoATgraskraft.de>

Annette Schlemm schrieb:
> ich möchte Euch diesmal wieder ein Stück in Richtung Vision/Utopie
> nehmen. Das vorgestellte Konzept ist auch grundlegend für die hier schon
> mal diskutierte Frage, was "von unten" sinnvoll bedeuten kann.
Ehrlich gesagt, ich finde das ziemlich schlimm, was Annette da zitiert hat. Es ist die noch nicht mal so alte, aber falsche Idee, daß Individuen "frei" seien und alles auf der Vernunftebene regeln "aushandeln" könnten. Es ist letztlich ein Konzept, das Marktmechanismen verabsolutiert, letztlich ist alles nur Geschäft.
Historisch verständlich ist dies nur vor dem Hintergrund des Feudalismus mit seinen Bindungen, die das Individuum (aber im wesentlichen denjenigen, der Handel treiben wollte) einschränkten. Trotzdem ist es eine falsche Hypothese. Menschen sind weder frei noch vernünftig. Vieles geschieht "aus dem Bauch"
Wer das ignoriert, wird nie eine funktionierende Utopie zustandebringen.

Es mag ketzerisch erscheinen, wenn ich sage, daß feste Regeln gar nicht so schlecht sind. Die Alternative ist das übliche stundenlange Gelaber, bei dem jeder wieder alles über den Haufen werfen kann. Das nervt und bringt nicht weiter.
Die Menschen sind nicht gut und edel, sondern schlecht und gemein. Alle Gesetze hatten das Ziel, die Bösen in Schach zu halten. Für den Adel waren die aufmüpfigen Bauern natürlich die Bösen. Aber als die Proleten an die Macht kamen, haben sie auch Regeln aufgestellt, die die ostelbischen Junkern in die Schranken weisen sollten.

Wenn Regeln grundsätzlich zur Disposition gestellt werden, führt das zu endlosen Debatten. Das heißt es muß ein Verfahren, also wieder eine Regel geben, wie Regeln geändert werden könne. Beispiel Grundgesetz und Verfassungsgericht.

Das ganze klingt ungeheuer wegweisend.
Tatsächlich ist es nur eine Umformulierung traditioneller anarchistischer Konzepte - und die gehen nun mal am Wesen des Menschen vorbei.

Bevor man Tür und Tor öffnet und alles in Frage stellt, sollte man fragen, welches sind die Merkmale, die eine stabile Kooperation ermöglichen. Wie kann man Bedingungen schaffen, daß diese Merkmale zum Tragen kommen.

Ich habe immer den Verdacht, daß die Leute, die sich so vehement gegen feste Regeln wehren, diejenigen sind, die sich selbst nicht beengen lassen wollen, die ihren eigenen Individualismus voll ausleben wollen. Wer dies dann kritisiert, ist automatisch in der schlechteren Position.

Diese Meinung werden, so fürchte ich, die wenigsten teilen
Roland

Sat, 25 Nov 2000, From: Silvan

Hi Roland!
> Ehrlich gesagt, ich finde das ziemlich schlimm, was Annette da zitiert hat.
> Es ist die noch nicht mal so alte, aber falsche Idee, daß Individuen "frei"
> seien und alles auf der Vernunftebene regeln "aushandeln" könnten. [...]
> Die Menschen sind nicht gut und edel, sondern schlecht und gemein. Alle
> Gesetze hatten das Ziel, die Bösen in Schach zu halten. [...] Tatsächlich
> ist es nur eine Umformulierung traditioneller anarchistischer Konzepte - und
> die gehen nun mal am Wesen des Menschen vorbei.

Ich habe den Verdacht, daß Dein Konzept vom "Wesen des Menschen" an der Realität ziemlich vorbeigeht. Es gibt sicher nicht "das Wesen des Menschen". Schon gar nicht sind *alle* Menschen schlecht, böse oder auch nur unfrei und unvernünftig. Genauso wenig wie alle Menschen gut und vernünftig sind. Was bringt diese Pauschalisierung? Vereinfachung. Aber vereinfachende Weltbilder taugen nur, um untaugliche Ideologien wie den zentralistischen Kommunismus und so weiter mehr zu tauglichen Staats-Konzepten zu erklären.

> Es mag ketzerisch erscheinen, wenn ich sage, daß feste Regeln gar nicht so
> schlecht sind. Die Alternative ist das übliche stundenlange Gelaber, bei dem
> jeder wieder alles über den Haufen werfen kann. Das nervt und bringt nicht
> weiter. [...] Wenn Regeln grundsätzlich zur Disposition gestellt werden,
> führt das zu endlosen Debatten. Das heißt es muß ein Verfahren, also wieder
> eine Regel geben, wie Regeln geändert werden können.

Auch das ist in meinen Augen viel zu pauschal gefaßt. Der Anarchismus und der freie Marktmechanismus haben durchaus einiges gemeinsam, und das ist auch gar nicht so schlimm. Grundlage ist, daß manche Menschen in der Lage sind, eigene Bedürfnisse, Ansprüche, Lebenswirklichkeiten und so weiter selbst auszuhandeln und -gestalten. Solange so ein Leben im Rahmen der Wahrung von Bedürfnissen und Ansprüchen anderer gelingt, sehe ich überhaupt keine Notwendigkeit, alles und jedes bis ins Detail zu regeln. Warum sollen "vernünftige Menschen" darunter leiden, daß es leider auch "unvernünftige Menschen" gibt?

Klar, Du hast durchaus recht: Der Widerstand gegen einen übermächtigen Staat, der von links (die jedoch oft nur einen anderen Staat wollen) und aus der liberalen Perspektive (die allerdings zu oft vor allem einen in Wirtschaftsfragen schwachen Staat wünschen) und von rechts (die ganz massiv einen ganz anderen Staat herbeisehnen) geführt wird, ist oft auch aus einem Individualismus heraus geführt, aus den in der Tendenz egoistischen Motiven, in seinem Handeln nicht eingeschränkt zu werden und ein Leben zu führen, das die "Selbstverwirklichung", d.h die Realisierung eigener Lebensformen ermöglicht. Ist das denn schon ganz pauschal schlecht? Klar "Selbstverwirklichung" ist heutzutage für viele Leute etwas allein egoistisches und dazu oft etwas, das direkt die Rechte und Möglichkeiten anderer einschränkt (Besitz, Macht und Ressourcen werden gegen andere eingesetzt). Und leider sind auch sehr viele Menschen auf ziemlich langweilige "Wertvorstellungen" fixiert: Viel Geld, dickes Auto, fünf Urlaube ihm Jahr.

Aber "eigene Lebensformen" entwickeln kann auch heißen, irgendwo auf einer Wiese mit seinem Bauwagen zu leben. Das ist in Deutschland so reglementiert wie das parken in der Innenstadt, aber wozu?

Feste Regeln bevorzugen immer die, welche ohne Regeln nicht leben können, weil sie zu dumm, zu unvernünftig, vielleicht zu böse sind, ohne sie auszukommen. Aber muß man alle die bestrafen, die aus sich heraus zu einem anderen Zusammenleben fähig sind?

Es geht ja nicht um das Infragestellen "aller" Regeln auf allen Ebenen und mit der Gültigkeit für alle. Aber für vieles braucht man keinerlei Regeln. Wenn man sich in kleinen Kreisen gut versteht, funktioniert das Prinzip des Aushandelns sehr gut - hier handeln auch meist echte Individuen und nicht juristische Gesellschaften, die a priori meistens sehr ungleiche Voraussetzungen besitzen.

In Teilbereichen des Lebens funktionieren solche Kooperationen schon heute sehr gut. Sie würden noch besser funktionieren, wenn mal die Freiräume für sie erweitert würden. Aber der Regulierungswahn unseres Staates fährt über fast alles wie eine Dampfwalze. Weil es ein paar Idioten und Kriminelle gibt, wird die *komplette* Bevölkerung an den meisten städtischen Plätzen videoüberwacht. Die Mehrheit derer, die sich so verhält, daß sie anderen nicht schadet, leidet unter denen, die nicht in der Lage sind, sich aus Vernunft oder der inneren Ethik so zu verhalten, daß man ohne überdimensionierte Polizei-Apparate auskäme. Die ganze Steuergesetzgebung macht jeden Menschen schon in Minuten zum Verbrecher, weil es kaum möglich ist, ohne ein Studium die hunderttausend Regeln und fünfhunderttausend Ausnahmen zu verstehen.

All die sind aber nur notwendig, weil ein paar dicke Schnösel sowieso (ob mit oder ohne detaillierte Regeln) den Staat von vorne bis hinten um Geld betrügen und damit immer härtere Regeln provozieren.

Hier müßte der Staat eigentlich anfangen, das ganze zu de-eskalieren. Regeln vereinfachen, Staat verschlanken und die Ausübung staatlicher Gewalt zu reduzieren. Die Regulierungswut trifft grundsätzlich immer mehr "Unschuldige" als "Schuldige". Ich muß nur an die Rundfunkgebühr denken. Die ersten zwei Jahre meines Studiums habe ich mich befreien lassen, wegen Minimumeinkommen. Das ganze war stets ein Papierkrieg, der mich sicher einen halben Tag beschäftigt hat und den Beamten im Sozial- und Jugendamt noch mal zwei Stunden. Ineffizient und absolut sinnlos. Das ganze rechtfertigt sich allenfalls darin, daß es eine Hürde für die ist, welche zu faul sind, das auf sich zu nehmen. Aber effizient ist das nicht. Gerecht schon gar nicht. Die Jahre danach habe ich dem Staat viel Geld und mir sehr viel Zeit gespart. Mein Einkommen ist nicht größer geworden, aber mein Radio habe ich dann halt abgemeldet offiziell, auf die Weise gab es weniger Papier, ich hatte mehr Zeit und der Beamte konnte sich um Anliegen kümmern, die vielleicht existenzieller waren als meins.
Na ja, über das Thema könnte man stundenlang diskutieren :-)
Schönen Abend und viele Grüße,
Silvan

Mon, 27 Nov 2000, From: Annette Schlemm <annette.schlemmATt-online.de>

Hallo,
> Ehrlich gesagt, ich finde das ziemlich schlimm, was Annette da zitiert hat.
> Es ist die noch nicht mal so alte, aber falsche Idee, daß Individuen "frei"
> seien und alles auf der Vernunftebene regeln "aushandeln" könnten. Es ist
> letztlich ein Konzept, das Marktmechanismen verabsolutiert, letztlich ist
> alles nur Geschäft.

Hast Du es richtig gelesen? ...Hier geht es darum, die MECHANISMEN, die REGELN veränderbar zu machen - eben nicht die Marktmechanismen zu verabsolutieren?

> Wer das ignoriert, wird nie eine funktionierende Utopie zustandebringen.

Hier hast Du wieder danebengelesen: Wir wollen ja gerade KEINE "funktionierende Utopie zustandebringen", sondern nur etwas darüber sagen, wie wir sie alle zusammen machen können.

> Hypothese. Menschen sind weder frei noch vernünftig. Vieles geschieht "aus
> dem Bauch"

Das sollen sie doch auch weiter können. Es wäre ja schlimm, über jeden F... nachdenken zu müssen... Für Angelegenheiten, für die Bauchentscheidungen gut sind (z.B. Beziehungen...) sollen sie doch auch ruhig bleiben. Und wo mehr gebraucht wird (Köpfchen), werden die Leute das schon mitkriegen und dann eben lernen es zu entwickeln (bzw. sie brauchen es nicht erst verlernen).

> Es mag ketzerisch erscheinen, wenn ich sage, daß feste Regeln gar nicht so
> schlecht sind. Die Alternative ist das übliche stundenlange Gelaber, bei dem
> jeder wieder alles über den Haufen werfen kann. Das nervt und bringt nicht
> weiter.

[...] Wer das meint, kann jederzeit in der eigenen Gemeinschaft dementsprechende Regeln entwickeln. Aber die dürfen nicht auf andere übertragen werden. Mehr wird gar nicht gefordert.

> Die Menschen sind nicht gut und edel, sondern schlecht und gemein.

Meinst Du nicht, dass diese Verallgemeinerung irgendwie nicht die Sache trifft? [...]

> Alle
> Gesetze hatten das Ziel, die Bösen in Schach zu halten. Für den Adel waren
> die aufmüpfigen Bauern natürlich die Bösen. Aber als die Proleten an die
> Macht kamen, haben sie auch Regeln aufgestellt, die die ostelbischen Junkern
> in die Schranken weisen sollten.

Ja und? Muß das weiter so bleiben? Ich sehe ja an den Bauern, daß Du die "Bösen" hier nicht selbst als böse ansiehst, sondern die Interpretation der Herrschenden sprachlich übernimmst (solltest Du geschickter darstellen, sonst gibts zu viele Mißverständnisse). Also haben wir aber schon mal eine Erkenntnis: "Böse" sind die gegen die jeweilige Herrschaft Auftretenden. Die wirds in einer herrschaftsfreien Welt also nicht mehr geben. Und die, die dann noch "für Herrschaft" sind, werden unter Regeln leben, wo sie einfach keine Machtmittel mehr haben, andere zu beherrschen. Deswegen braucht man gegen sie keine extra Gesetze.

> Wenn Regeln grundsätzlich zur Disposition gestellt werden, führt das zu
> endlosen Debatten. Das heißt es muß ein Verfahren, also wieder eine Regel
> geben, wie Regeln geändert werden könne. Beispiel Grundgesetz und
> Verfassungsgericht.

Ach weißt Du: Heute scheint keine Sonne. Ich kann also alles, was andere über die Sonne daherschwätzen als falsch erklären ;-D Heute herrscht Kapitalismus. Da gibts blödsinnige Debatten bis zum Geht-nicht-mehr... Aber... wenn morgen die Sonne scheint, sieht die Welt doch ganz anders aus! Und wenn Du die Sonne dann immer noch nicht magst, kannst Du Dich ja in ein dunkles Kämmerchen einsperren (eine Community mit nie veränderbaren Regeln gründen).

> Tatsächlich ist es nur eine Umformulierung traditioneller anarchistischer
> Konzepte - und die gehen nun mal am Wesen des Menschen vorbei.

Woher willst Du das wissen?
Übrigens: Es ist nicht nur eine Umformulierung. Die deutliche Nähe ist aber sicher auch kein Zufall. Schaun wir mal. Ich hab schon viele Menschen gefunden, die ganz gut anarchistisch miteinander leben könnten. Wenn wir nur könnten... Du mußt ja nicht dazugehören - aber willst Du uns die Möglichkeit absprechen, das versuchen zu dürfen? Dafür die Bedingungen herzustellen? Ob Du mitmachst, kann mir dann wirklich egal sein... (Weil wir uns eigentlich schon mal konstruktiver austauschten, ists mir nicht ganz egal...;-) ).

> Bevor man Tür und Tor öffnet und alles in Frage stellt, sollte man fragen,
> welches sind die Merkmale, die eine stabile Kooperation ermöglichen. Wie
> kann man Bedingungen schaffen, daß diese Merkmale zum Tragen kommen.
Welche würdest Du denn da sehen? (Merkmale - Bedingungen) Vielleicht können wir da konkreter diskutieren?
Ich denke auch, daß solche Diskussionen auch wirklich hierhergehören - es wird deutlich, wie unterschiedlich wir "von unten" verstehen und was für unterschiedliche Meinungen "von unten" kommen. Die Gemeinsamkeit, "gegen oben" und "für unten-von unten" zu sein, reicht m.E. nicht aus, um wirklich was Neues zu erreichen.

> Ich habe immer den Verdacht, daß die Leute, die sich so vehement gegen feste
> Regeln wehren, diejenigen sind, die sich selbst nicht beengen lassen wollen,
> die ihren eigenen Individualismus voll ausleben wollen.

Oh ja, ich war schon immer als totale Egoistin bekannt...

> Wer dies dann
> kritisiert, ist automatisch in der schlechteren Position.

Wieso ist dies die logische Folge aus dem Satz vorher? Ist mir nicht klar.

Normalerweise ist Deine Position die bessere, weil die normalere, die übliche. [...]

Ich habe glücklicherweise bisher aber die Erfahrung gemacht, daß es in Mailinglists wie dieser eigentlich nicht um "bessere" oder "schlechtere" Positionen, um ein Ringen gegeneinander geht. Ich glaube nicht, daß es bei uns um Sieg oder Niederlage geht - mir jedenfalls gehts um ein genaueres Kennenlernen der Hintergründe Deiner Meinung. Denn wenn die Menschen so sind, wie Du denkst - dann würde ich die ganze Mühe hier wirklich sein lassen...

> Diese Meinung werden, so fürchte ich, die wenigsten teilen

Glaube ich gar nicht. Deshalb ists auch wichtig, daß Du sie geschrieben hast.
Könntest Du mal bitte versuchen zu differenzieren, wieviel von Deiner Meinung enttäuschter Wunsch ist?
Ich meine:
Könntest Du mitgehen zuzustimmen, daß Du Dir wünschen könntest, daß es funktionieren würde - Du dies aber als unrealistisch ansiehst?
Und dann kämen meine nächsten Fragen: Für immer, oder nur für die nächste Zeit?

Unter welchen Bedingungen könnte es gehen?

So, damit aber Schluß für heute... Ahoi Annette

Mon, 27 Nov 2000 From: projektwerkstattATapg.wwbnet.de (=?ISO-8859-

infoATgraskraft.de (Graskraft-Info) schrieb am 23.11.100 15:25:19 zu
Re: [UVU] Freie Kooperation:

> Hypothese. Menschen sind weder frei noch vernünftig. Vieles
> geschieht "aus dem Bauch" Wer das ignoriert, wird nie eine
> funktionierende Utopie zustandebringen.

Huch???
Verständnisfrage: Wo genau liegt der Widerspruch zwischen "frei" und "Bauch"?

> schlecht sind. Die Alternative ist das übliche stundenlange
> Gelaber, bei dem jeder wieder alles über den Haufen werfen kann.
> Das nervt und bringt nicht weiter.

Welche Debatten meinst Du? Ich kenne eigentlich nur die ständigen Laberdebatten, deren Ziel es ist, gerade die Autonomie zu überwinden und irgendwas Gemeinsames zu konstruieren - ob nun Gesetz oder Plenumsbeschluß, ist dabei zweitrangig.

> Alle Gesetze hatten das Ziel, die Bösen in Schach zu halten.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß Du selbst diesen Satz für richtig hältst. Nehmen wir z.B. das Gesetz zur Immunität von Abgeordneten - und bitte dann diesen Satz erklären. Und das ist sicher keine Ausnahme ...

> Für den Adel waren die aufmüpfigen Bauern natürlich die Bösen. Aber
> als die Proleten an die Macht kamen, haben sie auch Regeln
> aufgestellt, die die ostelbischen Junkern in die Schranken weisen
> sollten.

Ich finde, diese Passage untermauert eher die Notwendigkeit, statt sich über andere Regeln zu unterhalten die Existenz solcher in Frage zu stellen.

> Wenn Regeln grundsätzlich zur Disposition gestellt werden, führt
> das zu endlosen Debatten.

Ich kann mich nicht erinnern, daß das zu endlosen Debatten führt. Ich habe das gegenteilige Gefühl: Die Debatte um Verregelungen führt zu endlosen Debatten.

Jörg

Date: Sat, 25 Nov 2000 From: Silvan

Hi!
Nur kurz ein paar Anmerkungen zum "Original"... :-)
> Es geht um eine völlig neue Art des Veränderns! Es geht nicht wieder
> darum, eine "neue Ordnung" einzuführen - die dann eben doch wieder ihre
> Ecken und Kanten haben wird

Grundproblem vieler solcher Betrachtungen ist, daß sie immer nur die Variante "neue Ordnung" gegen die Variante "alles lassen wie es ist" stellen. Die Hauptfortschritte in Natur und Kultur werden durch die evolutionäre Veränderung in kleinen Schritten erzielt. Den Gegensatz zwischen Wandel und Veränderung gibt es nicht in der Gesellschaft, allenfalls über das Tempo schleichender Veränderungen kann man sich sinnvoll streiten. In der Tat haben "revolutionäre Änderungen" oft genau so viele Probleme (wenn auch an anderer Stelle) hervorgebracht als die eigentlich bekämpfte und im Rahmen der Revolution beseitigte Ordnung.

> "Es geht immer um den Mechanismus, nicht für andere definieren zu wollen
> und zu können, wie ihre Kooperatio-nen auszusehen haben, wie sie
> "richtig" sind, aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie dies
> frei aus-andeln können..." (S. 27).

Das gefällt mir sehr gut, solange es unter der Prämisse geschieht, daß das Ergebnis solcher Verhandlungen und eigener Gestaltungen des Lebens nicht zu Einschränkungen für genau diese Gestaltungs-Möglichkeiten von anderen Menschen führt.

> -> Gleichheit bezieht sich nicht auf Einheitlichkeit z.B. des Sozialen,
> sondern auf "gleiche Ver-handlungsmacht" (S. 24)

Wohltuend :-)) Der Regelungs- und Vereinheitlichungswahn eines durch demokratische Wahlen bestimmten Staates stört mich nicht weniger als der eines sozialistischen...

> stehen vollständig zur Disposition, d.h. können jederzeit neu
> ausgehandelt werden (also auch von Eigentum, in-sofern es die Belange
> anderer Menschen berührt, z.B. zur Erpressung anderer Menschen führen
> könnte, wie mehr als selbst benötigter Wohnraum, Produktionsmittel

Hier wird es natürlich vorsichtig gesprochen "schwierig". Denn wenn der Ansatz, nicht alles "vereinheitlichen zu wollen" ernst gemeint ist, dann haben Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Vielleicht "braucht" ein Mensch ja sechs Zimmer, um glücklich zu leben oder für die Gesellschaft spannende und nützliche Dinge (Kunst, Musik, Ideen, was auch immer) hervorzubringen. Vielleicht kommt ein anderer mit einem Zimmer aus, "braucht" aber täglich einen sehr guten Rotwein.

Was sind Bedürfnisse? Wer legt fest, was wer braucht? Eigentlich ist der Ansatz, vom Individuellen auszugehen, sehr gut, nur plötzlich ist die Frage nach einer Instanz da, die beurteilt, ob jemand mehr Raum zum Wohnen "besitzt" als er braucht. Die Beurteilung desjenigen, der vielleicht Wohnraum abgeben soll, dürfte anders ausfallen als die der Person, die daran Ansprüche stellt. Wer entscheidet?

> - Beteiligte müssen frei sein, die Kooperation zu verlassen (sie müssen
> also z.B. leben können, ohne erzwungene Lohanrbeitsleistungen zu
> erbringen)

Wer bezahlt das? Einen Sozialstaat gibt es in der totalen Freiheit ja nicht mehr, vielleicht auch niemand, der die Logistik nicht benötigter Lebensmittel hin zu Leuten, die zu wenig zu essen haben, organisiert.

> "Die Faustregel realistischer Kooperation lautet: Für jeden Einzelnen
> muß es besser sein, daß er/sie an dieser Kooperation teilnimmt, als wenn
> er/sie es nicht tut; und für die Kooperation muß es besser sein, daß
> der/die betreffende Einzelne dabei ist, als wenn er/sie es nicht ist.

Das ist eine sehr gute Zusammenfassung. Dieser Absatz beschreibt sehr viele schon heute existierende Kooperationen. Das beste Beispiel sind email-Listen von Interessengruppen zu bestimmten Themen. Dort geben viele Leute Wissen preis, das sie auch behalten könnten. Aber dafür bekommen sie Wissen anderer, was sie sonst teuer erkaufen müßten oder gar nie bekämen. So eine Liste lebt davon, daß jeder einzelne immer mehr Wissen bekommt als er selbst geben kann, also lohnt es sich für alle Beteiligten. Hauptbedrohung solcher Kooperationen sind Menschen, die merken, daß sie auch ohne eigene Investitionen (wie inhaltliche Beiträge etc.) profitieren können. Da allerdings eigene Beiträge in der Regel auch immer gute Werbung für eigene Kompetenzen sind und zu zusätzlichen eigenen Aufträgen führen, lohnt sich das Beitragen auch für die, welche deutlich mehr mitteilen als sie selbst profitieren können. Vielleicht kennen andere hier weitere Beispiele...
Viele Grüße,
Silvan

Mon, 27 Nov 2000 From: projektwerkstattATapg.wwbnet.de (=?ISO-8859-

Silvan schrieb am 25.11.100 09:43:51 zu Re:
[UVU] Freie Kooperation:

> Was sind Bedürfnisse? Wer legt fest, was wer braucht?
...
> Wer bezahlt das? Einen Sozialstaat gibt es in der totalen Freiheit
> ja nicht mehr, vielleicht auch niemand, der die Logistik nicht
> benötigter Lebensmittel hin zu Leuten, die zu wenig zu essen haben,
> organisiert.

Deine Einwände gehen davon aus, daß nur Organisation in festen Verhältnissen (z.B. Marktwirtschaft, Sozialismus u.ä.) einen gesellschaftlichen Reichtum hervorbringen können. Das zweifele ich deutlich an. Vielmehr glaube ich, daß "freie Menschen in freien Vereinbarungen" einen viel größeren Hang haben werden, eine sichere materielle und Wissens-Basis herzustellen (Produktion/Technik für ein besseres Leben, aber nicht verordnet und erst recht nicht für eine Profitverwertung) - wenn dann auf diese alle "zugreifen" können (gibt ja, wenn Profitinteresse weg ist, auch keinen Grund mehr - außer blanke Macht - dieses zu unterbinden), gibt es auch eine sichere Basis für alle.
Jörg

Date: Mon, 27 Nov 2000 From: Annette Schlemm <annette.schlemmATt-online.de>

Hallo,
prima, daß Ihr Euch ranmacht an die Diskussion. So merken wir erst mal, an was wir alles noch rumüberlegen sollten. Wir bemerken Unterschiede in grundlegenden Fragen: Menschenbild (Was können wir hoffen?), eigenes Ziel/Vision, Strategieüberlegungen. Unterschiede können zu unüberwindlichen Gegensätzen werden, wenn wir uns ihnen nicht stellen. Glücklicherweise brauchen wir aber auch keine Einheit erzeugen, sondern Formen finden, die uns ermöglichen, voneinander zu lernen und dann doch das zu machen, womit jede/r einzeln und alle zusammen leben können...

> > Es geht um eine völlig neue Art des Veränderns! Es geht nicht wieder
> > darum, eine "neue Ordnung" einzuführen - die dann eben doch wieder ihre
> > Ecken und Kanten haben wird
> sinnvoll streiten. In der Tat haben "revolutionäre Änderungen" oft
> genau so viele Probleme (wenn auch an anderer Stelle) hervorgebracht
> als die eigentlich bekämpfte und im Rahmen der Revolution beseitigte
> Ordnung.

Ich hab ja den Ursprungstext nicht geschrieben, aber ich möchte auch anmerken, daß ich ihn gerade deswegen mag, weil er solche Bedenken schon mit berücksichtigt. Und das in dieser Form wohl auch erstmalig so deutlich formuliert.

> > "Es geht immer um den Mechanismus, nicht für andere definieren zu wollen
> > und zu können, wie ihre Kooperatio-nen auszusehen haben, wie sie
> > "richtig" sind, aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie dies
> > frei aus-andeln können..." (S. 27).

> Das gefällt mir sehr gut, solange es unter der Prämisse geschieht, daß
> das Ergebnis solcher Verhandlungen und eigener Gestaltungen des Lebens
> nicht zu Einschränkungen für genau diese Gestaltungs-Möglichkeiten von
> anderen Menschen führt.

Ja, das ist vorausgesetzt. Das gehört zu den Voraussetzungen. Es ist ja so, daß wir sehr stark davon geprägt sind uns vorzustellen, daß eins immer nur gegen das andere geht. Win-Win-Situationen (also Situationen, wo beide Seiten gewinnen) gibts eigentlich kaum.
Ist Euch der Begriff "Paradigmenwechsel" bekannt? Man kennt das auch aus der Gestaltwahrnehmung: Ein Bild erscheint einmal als Ente und anders gesehen plötzlich als Hase... Bei der Sicht auf Gestaltungsmöglichkeiten und Freiheit und Selbstentfaltung gibt es auch zwei grundlegend unterschiedliche Paradigmen:

  1. Vorstellung des isolierten Einzelnen (in der kapitalistischen Warenwelt): Hier steht und wirkt automatisch immer jede/r GEGEN jede/n anderen.
  2. Selbstentfaltung in freien Kooperationen hat ein anderes Paradigma: Jede/r ist immer schon MIT dem anderen und jede/r kann sich nur MIT dem anderen selbst entfalten. Wenn ich also will, daß der andere sich selbst entfaltet, kann er das nur, wenn auch ich mich selbst entfalte und micht nicht etwa beschränke. Wenn ich mich entfalten will, brauch ich den anderen nicht einschränken, sondern bemühe mich selber drum, daß er sich weiter entfalten kann.

Es kommt drauf an, überall dafür die Bedingungen zu schaffen. Wenn es irgendwo nicht klappt: nicht meinen, der andere Mensch sei dumm, falsch und sei zu bekämpfen, sondern: wie können wir die Situation, die Regeln des Umgangs ändern, daß wir Win-Win-Situationen erzeugen?
Das heißt nicht etwa: auch mit dem Kapitalisten mauscheln oder mit dem Umweltzerstörer "Win-Win-Situationen" herstellen wollen - sondern: die Regeln ändern, d.h. ihre strukturelle Vormacht beenden.

> > stehen vollständig zur Disposition, d.h. können jederzeit neu
> > ausgehandelt werden (also auch von Eigentum, in-sofern es die Belange
> > anderer Menschen berührt, z.B. zur Erpressung anderer Menschen führen
> > könnte, wie mehr als selbst benötigter Wohnraum, Produktionsmittel
> Hier wird es natürlich vorsichtig gesprochen "schwierig". Denn wenn
> der Ansatz, nicht alles "vereinheitlichen zu wollen" ernst gemeint
> ist, dann haben Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Vielleicht
> "braucht" ein Mensch ja sechs Zimmer, um glücklich zu leben oder für
> die Gesellschaft spannende und nützliche Dinge (Kunst, Musik, Ideen,
> was auch immer) hervorzubringen. Vielleicht kommt ein anderer mit
> einem Zimmer aus, "braucht" aber täglich einen sehr guten Rotwein.

Eben, jede/r Einzelne wird sich kümmern, seine Bedürfnisse - soweit nötig in Kooperation mit anderen - erfüllt zu bekommen. Wer Kumpels findet, ein altes, leerstehendes Gebäude für sich mit 6 Zimmern auszubauen, wird es auch nutzen können. Andere sparen sich die Zeit und ziehen mit Wohnwagen durch die Gegend und leisten sich mehr "Reiseluxus". Wer Rotwein braucht, organisiert ihn sich - hilft ggf. bei der Weinlese ... andere machen was anderes. Grad weil die Bedürfnisse nicht einheitlich sind, wirds kaum dazu kommen, daß es nicht für alle langt... Behaupte ich mal optimistisch - Ausgangspunkt für eine solche Wirtschaftsvorstellung ist natürlich, daß nichts Wesentliches mehr knapp ist. Da wir vom Kapitalismus dran gewöhnt sind, daß man für alles bezahlen muß und daß auch noch das, wo es eigentlich keine stofflich-energetische Knappheit geben kann (Information/Software/Ideen) noch verknapp-bar gemacht wird damit es kapitalistisch verwertbar wird, fällt das schwer zu glauben, daß das möglich ist.
Es gibt aber viele Abschätzungen, daß bei ordentlichem (d.h. regional bedarfsgemäßer...) statt kapitaloptimierendem Einsatz der Ressourcen und der Nutzung produktionstechnischer und -organisatorischer produktiver Kräfte (ausgenommen die schädlichen...) inzwischen die Menschheit wirklich reich genug ist, von der veralteten Knappheitsbewirtschaftung wegzukommen.

Fragen von Freiheit und Kooperation hängen also, wie olle Marx herausfand, ziemlich sehr von ökonomischen Zusammenhängen ab. Wir haben das deshalb im "Gegenbilder-Buch" etwas mehr diskutiert.

> Was sind Bedürfnisse? Wer legt fest, was wer braucht? Eigentlich ist
> der Ansatz, vom Individuellen auszugehen, sehr gut, nur plötzlich ist
> die Frage nach einer Instanz da, die beurteilt, ob jemand mehr Raum
> zum Wohnen "besitzt" als er braucht. Die Beurteilung desjenigen, der
> vielleicht Wohnraum abgeben soll, dürfte anders ausfallen als die der
> Person, die daran Ansprüche stellt. Wer entscheidet?

Jede/r selbst. Ich glaube nicht, daß Du mehr Rotwein brauchst, als Du - ggf. mit Kumpels - saufen kannst. Und mehr als 50 qm wirst Du nicht alleine sauberhalten wollen... Ich selber brauche Platz eigentlich nur für meine Hunderte Bücher. Im Moment fehlts mir an Wohnraum dafür, weil ich ihn nicht bezahlen kann. In jeder Kommune würden die anderen mir sicher gern helfen, eine alte Scheune dafür auszubauen - weil sie ja dadurch gleich mit eine Bibliothek bekommen... Dasselbe bei Spiel- und Tobezimmern für Kids, für Saunas, etc, etc...

Also: mit Materiellem kann man sich nicht überhäufen, wenns einem nix mehr bringt (und so sollten die Zustände dann halt sein) - das Immatererielle kann wachsen, wie es will. Schon heute dienen viele materielle Güter nur zur Kompensation nichtbefriedigter immaterieller Bedürfnisse, wie Sicherheit, Geborgenheit, Anerkennung ("Prestige"), Liebe etc. Das könnte doch anders sein. Das kann anders sein. Das muß anders werden...

> > - Beteiligte müssen frei sein, die Kooperation zu verlassen (sie müssen
> > also z.B. leben können, ohne erzwungene Lohanrbeitsleistungen zu
> > erbringen)
> Wer bezahlt das? Einen Sozialstaat gibt es in der totalen Freiheit ja
> nicht mehr, vielleicht auch niemand, der die Logistik nicht benötigter
> Lebensmittel hin zu Leuten, die zu wenig zu essen haben, organisiert.
Tja, da haben wir eine Grundfrage: Können wir uns eine andere Welt als die kapitalistische oder staatssozialistische überhaupt vorstellen??? Wenn nicht, können wir vieles sein lassen.
Vorausgesetzt bei dieser Vision von C. Spehr ist natürlich eine Überwindung des Kapitalismus, auch eine Überwindung der Unterteilung in Leute, die mehr oder die "wenig zu essen haben". Was dazu führt, dass niemand verhungert, müssen wir jetzt er-finden. Verlang von Spehr oder mir da bitte kein Patentrezept (siehe oben: nichts vorschreiben, auch keine "Lösung").
Grundsätzlicher Ansatz: Niemand soll einem anderen die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse wegnehmen dürfen können (Grund und Boden, Produktionsmittel, Lebensmittel). Natürlich wird kaum einer wirklich als einzelner Eremit leben wollen, weil er dann sein Stückchen Grund und Boden wie in Urzeiten mit Grabstock usw. bearbeiten müßte und ihm sicher Besseres einfällt. Besser gehts aber nur, wenn er sich mit anderen zusammen tut ... Aber das macht er immer aus freien Stücken heraus - wenn er es will, und nicht, weil er irgendeinen Job verpaßt kriegt. Vorausgesetzt ist dabei wieder: Insgesamt hohe Arbeitsproduktivität und effektive Vernetzungsmöglichkeit (also kein Zurück zum Mittelalter oder so).
Wie so was ablaufen könnte, ist etwas vergnüglich dargestellt als "Erzählung eines Utopischen Klos aus der zukünftigen Vergangenheit" (http://www.thur.de/philo/uk3.htm).

> > "Die Faustregel realistischer Kooperation lautet: Für jeden Einzelnen
> > muß es besser sein, daß er/sie an dieser Kooperation teilnimmt, als wenn
> > er/sie es nicht tut; und für die Kooperation muß es besser sein, daß
> > der/die betreffende Einzelne dabei ist, als wenn er/sie es nicht ist.

> Das ist eine sehr gute Zusammenfassung. Dieser Absatz beschreibt sehr
> viele schon heute existierende Kooperationen. Das beste Beispiel sind
> email-Listen von Interessengruppen zu bestimmten Themen. Dort geben

Ja genau. Und alle Beispiele dazu sind kleine Keimformen für die Neue Welt. Wenn es darum geht, das zu überwinden, was uns jetzt stört: Herrschaft, Kapitalismus, Patriarchat... , dann macht es durchaus Sinn, nicht nur auf "dem ureigenen Terrain des Alten zu kämpfen, sondern die Spielregeln zu ändern und sich auf nehem Terrain zu behaupten." (hier zitiere ich Stefan Meretz aus seinem Büchlein: LINUX & Co., wo er die Keimform "Freie Software" näher erläutert - siehe auch www.oekonux.de dazu).

> können. Vielleicht kennen andere hier weitere Beispiele...

Ja, bitte schreiben...

Ahoi Annette

Olli:
> ... dieses "wir entwickeln mal irgendwas irgendwie irgendwann alle
> zusammen" ist mir durch dutzende fruchtloser Plena gründlich vermiest
> worden. Da bin ich ganz desillusioniert und das straighte, dogmatische
> Pochen auf Dezentralismus, Weg als Ziel, Anti-Hierachie, Anti-Elitismus
> (womöglich gar Anti-Intellektualismus), Anti-Preskriptivität kann wiederum
> selber zu einem preskriptiven Dogma werden, welches ohne Fingerspitzengefühl
> angwandt genauso fruchtlos endet wie eine Vision, die glaubt, alles
> vorschreiben zu müssen. Aber da müssen wir mal länger drüber diskutieren...

Annette:
Okay, da hast Du einen anderen Erfahrungshintergrund als ich. Unsereine hat sich praktisch immer eher mit zu viel Durchregelung abgeben müssen und hat noch nicht so viel unter dem unkreativen Chaos gelitten.
Trotzdem bestehe ich darauf: Wenn uns das Gelaber zu viel wird, werden wir und wird jede andere Gruppe, die irgendetwas will, unsre/ihre eigenen Regeln finden. Aber niemand kann sie FÜR ANDERE machen. Dazu darf keine/r die strukturelle Macht haben.

 

siehe auch: Rolf Kohne: Zur Diskussion um Christoph Spehr's "Freie Kooperation"

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