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"Wo träumst Du Dich hin? Ist Dir die Gegenwart zu langweilig? Wir haben erst mal auf der Erde noch genug zu tun, ehe wir an den Kosmos denken können..." Solche Sprüche begleiteten meine erste Euphorie für utopische Literatur vor 15 Jahren. Wie es sich gehört, ließ ich mich davon nicht beeindrucken. Ich las sie weiter und sie lockte mich in die Welt der Wissenschaft. Als ich dann studieren wollte, um Astronom zu werden, hieß es wieder: "Du hast im Stall gelernt, wenn Du unbedingt studieren willst, dann werde Tierarzt!" Die hatten mich alle nicht verstanden. Ich studierte Physik, wurde kein Astronom - sondern lernte interessante Menschen kennen und machte beruflich andere Dinge. Aber utopische Literatur las ich ich weiter und sie tat mir immer gut, weil ich dabei meinen Horizont erweiterte und einiges lernte.
Seit der "Wende" leide ich an Entzugserscheinungen.
Mir wurde meine heile, hoffnungsvolle Zukunftswelt genommen. Nicht
die DDR in ihrer historisch-konkreten Form war für mich diese
hoffnungsvolle Welt. Deren historisches Ende kann man aus der
Sicht offener Zukünfte verstehen und akzeptieren. Aber die
gedachten, möglichen friedlichen, humanen Zukünfte waren
auf dem Gebiet der utopischen Literatur plötzlich weg.
Das Manko der DDR-SF, immer nur "heile Welt" dazustellen,
hatte in mich ein Ur-Vertrauen in die Zukunft und die unendlichen
Weiten da draußen gelegt, die heute noch tiefinnerlich die
Basis für die fast schon verzweifelte Auswegsuche aus den
jetzigen Weltkalamitäten ist. Es war sicher notwendig, daß
die utopische Literatur spätestens in den 80er Jahren auch
Probleme stärker benannte, die Hybris der Menschen auf dem
Gebiet der "Eroberung" des Weltalles, ihres Alles-Könnens,
ihrer Überlegenheit usw. zurechtstutzte.
Was sich seit der "Wende" an westlicher Sience-Fiction
über mich ergießt, ist dagegen ein eiskalter Schock.
Der Begriff "Aliens" ist mit furchtbarem Horror, gegenseitigem
Jagen, Aussaugen und Auffressen auf fürchterlichste Weise
verbunden. An erster Stelle steht bei Begegnungen die Angst, die
fast nie enttäuscht wird. Die besten Filme und Bücher
sind noch die, bei denen die Aliens "nur" wie Ausländer
in Deutschland in einer ganz normalen kapitalistischen Universums-Welt
aufgefaßt werden. Einige der hoffnungsvollen und auch guten
SF-Werke aus der westlichen Welt habe ich inzwischen auch gefunden
(obwohl viele vergriffen sind und nicht wieder verlegt werden).
Wichtiger ist noch, daß ich viele konkrete Utopisten in
dieser Welt gefunden habe, die nur sehr selten utopische Literatur
schreiben (Callenbach...), die dann aber meist nicht sehr gut
ist. Aber es gibt in der westlichen Welt Zukunftswerkstätten,
ein von Robert Jungk gegründetes Institut für Zukunftsfragen in
Wien mit Bibliothek und Sammlung aller hoffnungsvollen konkreten
Ansätze auf der Welt, utopische Wünsche zu realisieren.
Ich konnte diese Welt der konkreten Utopien (als bunter Strauß
sog. "dritter" Wege) auf dieser Erde erst in der jetzt
offenen Welt nach dem Ende der DDR kennenlernen. Sie ist für
mich eine wichtige Entdeckung und ich bin seitdem auf dem Weg,
in meinem Lebensumfeld eigene Utopien gemeinsam mit anderen Menschen
zu verwirklichen. Und doch kann ich es nicht lassen, Science Fiction zu lesen. Doch die Erweiterung des Horizonts bleibt meist aus. Die Lichtblicke (Stephen Baxter, David Brin, Ursula LeGuin...) sind viel seltener als die Freude zu DDR-Zeiten, wieder mal ein utopisches Buch erwischt zu haben.
Die Utopielosigkeit der Science-Fiction enspricht nun nicht nur
meinem Gefühl. Ein Experte (W.Jeschke) schrieb selbst:
siehe: Abschied von den Utopien !!! Ist der Traum also aus?Das muß jeder für sich entscheiden. Es gibt nicht mehr "die eine richtige" Antwort für alle.
Ich habe mich für die Antwort NEIN entschieden. Die neuen Träume setzen
aber stärker in der Gegenwart selbst an. Die Menschheit,
so wie sie jetzt ist, gehört nicht in die unendlichen Weiten.
Ein ominöser "Q" wie in StarTrek täte nur
recht daran, uns aufzuhalten bei der Ausbeutung und Ausrottung
auch noch ferner Planeten und Völker, nachdem wirs mit unsern
eigenen geschafft haben. Insofern kann ich auch einen kleinen
Anteil Schadenfreude nicht verleugnen, wenn uns als Menschheit
im 20.Jahrhundert immer wieder etwas schiefgeht in den Raumfahrtprogrammen.
Ich weiß heute mehr als vor 15 Jahren über den Zustand
der Menschheit (jeden Tag verrecken 40 000 Kinder nur an der Armut
ihrer Umgebung) und über die Fehlorientierung des sog. "Fortschritts"
(damit in Indien die Bewohner einer 70 000-Menschen-Stadt "modernisiert"
für uns Industriewegwerfprodukte herstellen können,
müssen für den dafür notwendigen Dammbau zur Energieerzeugung
3 Millionen Menschen ihre angestammte, sie ernährende Heimat
verlassen und werden automatisch zur "Überbevölkerung"
gemacht).
Für mich sieht eine Utopie ersteinmal die Verhältnisse auf der Erde grundlegend
verändert, ehe wir mit veränderten Zielen dann irgendwann
einmal wirklich auch ins Weltall aufbrechen werden.
So fictional viele Zukunftsentwürfe aussehen, so transportieren
doch meist die Vertreter einer bestimmten Gesellschafts- und Kulturform
ihre Verhältnisse in diese Zukunft. In Wirklichkeit jedoch
ist es eher normal, daß es ständig revolutionäre
Umbrüche dieser Kulturen und Lebensweise gibt. Genauso wie
es einmal normal und unumgänglich erschien, Sklave zu sein
oder Sklaven zu halten - so wird es einmal später als unvorstellbar
erscheinen, sich auf einem entwürdigenden Arbeitsmarkt selbst
anzubieten oder auf die Straße geschmissen zu werden.
Es sind neue gemeinschaftliche Lebensformen möglich, bei
denen aber die Entscheidung für Produktion und Verbrauch
innerhalb der sich selbst-organisierenden Untergruppen getroffen
werden. Da gibt es "oben" niemanden, der befehlen kann,
daß pro Woche drei Stunden länger gearbeitet wird,
damit das Explorer-Raumschiff TERRA X fertiggestellt wird. Dieses
Raumschiff wird es nur geben, wenn genügend Menschen in ihren
Lebensgemeinschaften selbst das Bedürfnis haben, die Neugier
befriedigen zu wollen oder einfach das Wetter extraterrestrisch
beobachten zu wollen, kommunizieren zu wollen usw. und sie dann
ihre Kräfte (selbst-organisiert) koordinieren, um so etwas
zu schaffen. Solche Menschen werden dann aber andere Ziele verfolgen
als die jetzigen militärisch-expansionistischen, profitmaximierenden.
Dies bringt auch Veränderungen in Inhalt und Form späterer
Weltraumfahrt. Wie notwendig das ist, zeigt mir die neue "Kultserie"
SPACE 2063. Wenn diese Space-Mariners tatsächlich die kosmische
Zukunft darstellten, wäre sie sowieso längst nicht mehr
das, wofür sich viele SF-Enthusiasten begeistern.
Also, lassen wir uns nicht mit schlechter SF die Utopien zerstören.
Sie liegen näher vor uns, als ich mir es je träumen
ließ. Meine jetzt 8-jährige Tochter soll
alle utopische Literatur verschlingen - aber ich hoffe, sie flieht
damit nicht nur vor einer immer lebensunwerter werdenden realen
Welt, sondern beschreitet selbst neue Lebens-Wege.
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