Wert als konkret-Allgemeines

 

I. Uns begegnet die Wirklichkeit tatsächlich erst einmal als Ansammlung einzelner Dinge. Wir können sie mit unseren Sinnen wahrnehmen.

 

Jedes Arbeitsprodukt ist ein bestimmtes, konkretes Ding (auch Dienstleistung eingeschlossen). Wenn wir etwas über seine Eigenschaften aussagen wollen, brauchen wir aber zumindest Vergleiche: "Es ist wie...", "Es dient zum..." - wobei wir außer dem Einzelnen seine Beziehungen zu Äußerem und Anderem betrachten müssen.

 

II. Gemeinsame Merkmale einzelner Dinge lassen uns (unseren Verstand) diese Dinge in einer Gruppe einsortieren. Die gemeinsamen Merkmale der Gruppe kennzeichnen Allgemeines.

 

Die meisten Arbeitsergebnisse werden für den Austausch hergestellt und sind deshalb Waren. Sie beinhalten einen Gebrauchswert und den Wert.

 

Solange wir uns auf diese Gemeinsamkeiten konzentrieren, überbetonen wir das Einheitliche und wir abstrahieren von den restlichen Unterschieden im Einzelnen.
Was wir mit diesem Allgemeinen erwischt haben, ist ein abstrakt-Allgemeines. Alle formal-logischen Bestimmungen betonen in diesem Sinne entweder eine Identität oder die Nicht-Identität bezüglich der bestimmten Gemeinsamkeit. Ein Drittes gibt es nicht.

 

Arbeiten die Menschen als isolierte Einzelne (keine bewußte Produktionsplanung), so vermittelt sich der gesellschaftliche Zusammenhang über allgemeine sachliche Prinzipien ("Markt"):

"Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind." (MEW 23, S. 87)

 

Nun wird alles zur Ware - nur als Warenbesitzer begegnen sich Menschen wesentlich.

Auch der "Gebrauchswert" ist das abstrakt-Allgemeine zum einzelnen nützlichen Gegenstand. Werte sind subjektive Denkbewegungen, die jeweils das Einheitliche aller Waren (abstrakte Arbeit) erkennt und sie damit als Waren gleichsetzt - Diese subjektiven Denkbewegungen haben aber objektiven Charakter.

Die Verwertung der Werte ist der grundlegende Prozeß, der über seine Objektivität auch die menschliche Reproduktion regelt und organisiert ("unsichtbare Hand des Marktes"). Dieser Zustand scheint ewig, denn alle Faktoren des Lebens unterliegen ihm, alle sind bzw. werden in ihn integriert ("Globalisierung" - "Ende der Geschichte").

Es kann nachgewiesen werden, daß diese Situation logisch aus den Anfängen der Akkumulation des Kapitals folgt und daß diese wiederum eine logische Folge der Produktivkraftentwicklung und der historischen Situation in Europa ist (Marx). Aus diesem Grund erfolgt die kapitalistische Entwicklung quasi "naturgesetzlich" - und historische Gesetzmäßigkeiten beruhen auf notwendiger Allgemeinheit, welche die Menschen nur noch als ausführende Organe der sachlichen Notwendigkeit braucht...

"Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren." (MEW 23, S. 89)

 

 

Damit hatten wir bisher das isolierte Einzelne und ein alles vereinheitlichendes, einebnendes Allgemeines. Die Überbetonung des Einzelnen führt zu Empirismus, die alleinige Anerkennung des abstrakten Allgemeinen wird absoluter Rationalismus (der das Gegebene als notwendig und vernünftig, also unabänderlich betrachtet). Gibt es eine vermittelnde, d.h. weiterführende Betrachtungsweise?

 

 

III. "Die Wahrheit ist konkret" sagt Hegel und meint damit, daß alle einzelnen Sachverhalte in Allgemeines eingebunden sind, dies aber in jeweils konkret bestimmten Beziehungen. Die konkreten, bestimmten Beziehungen braucht das Einzelne überhaupt, um seine Wesenszüge zu realisieren. Alle Eigenschaften und Merkmale haben ihre Wurzeln zwar im Ding selbst, sie realisieren sich aber immer in Beziehungen zu äußeren Dingen. Das Ding "beweist diese Eigenschaft nur unter der Bedingung einer entsprechenden Beschaffenheit des andern Dinges, aber sie ist ihm zugleich eigentümlich und seine mit sich identische Grundlage." (Hegel 1986, S. 134).
Damit haben wir einen konkreten allgemeinen Zusammenhang, der als das konkret-Allgemeine das Spezifische des Einzelnen nicht verschwinden läßt, sondern geradezu prägt. Das Einzelne ist gegenüber diesem konkret-Allgemeinen ein Besonderes, erhält seine Spezifik - aufgehoben in einem konkreten Zusammenhangsgefüge, einem Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile.

 

Schauen wir uns die Wert-Vergesellschaftung genauer an, die das Allgemeine unserer Gesellschaft darstellt, so fällt auf, daß sie erst nach vielen Jahrhunderttausenden menschlicher Entwicklung entstand - also nicht etwas "allgemein-menschlich Ewiges" repräsentiert. Sie entstand erst auf Grundlage ganz konkreter Bedingungen in einem Teil der Erde. Diese (inneren und äußeren) Bedingungen ermöglichen den konkreten Bewegungszusammenhang für diese Art der (prozessualen) Vergesellschaftung. Das Allgemeine ist konkret - Hegel: Die Wahrheit ist konkret.

 

IV. Das Einzelne geht nicht vollständig im konkret-Allgemeinen auf, sondern bleibt als Besonderes erhalten.

Es ist Teil eines Ganzen, enthält aber mehr. Dieser Überschuß an Bestimmungen macht der Hegelschen Logik einige Probleme. Im Hegelschen System geht es verloren. In seiner originären spekulativen Methode jedoch baut Hegel immer wieder Stellen ein, in der in seinem Setzen das Außerlogische, vom real-überschüssigen Sein Herrührende seine Berechtigung verliert. Er interpretiert diese Kontingenz (in der "Phänomelogie") etwas abfällig als Eigenschaft lediglich des natürlichen Seins.

 

 

Jede Ware bleibt trotz ihrer primären Rolle im Verwertungsprozeß ein konkretes Arbeitsprodukt - jeder Waren(nicht)besitzer bleibt (und wird) trotz seiner Rolle (ökonomische "Maske") ein Mensch mit konkreten Wünschen, Bedürfnissen, Interessen und Fähigkeiten. Diese Tendenz wird im Verlauf der historischen Entwicklung immer wesentlicher. Hier setzt sich eine Art "List der Vernunft" durch: Die weitere Wert-Vergesellschaftung erfordert geradezu neue qualitative menschliche Fähigkeiten, produktive Kräfte ("Toyotismus"; dezentrale Organisationsformen, in der sich die "Globalisierung" nur realisieren läßt...)

Das konkret-Allgemeine: der reale Bewegungszusammenhang bringt bei der Reproduktion der Wert-Gesellschaft sein Gegenteil notwendig mit hervor: die qualitativen Kräfte ihrer möglichen - nicht automatischen (!) - Überwindung....

 

Dem abstrakt-Allgemeinen steht das Einzelne gegenüber - als Besonderes ist es im konkret-Allgemeinen "übergriffen".

 

Diese Unterscheidung ist wesentlich. Im ersten Fall steht der Einzelne ewig einer höheren Macht entfremdet gegenüber - im zweiten Fall bleibt er (bzw. wird er in der Entwicklung) als Besonderer wesentlich für die weitere Evolution des Ganzen und kann das "naturgesetzlich", "logisch als notwendig nachweisbare" Beherrschende kraft seiner Rolle als Besonderer überwinden.

Der oben betonte objektive Charakter der subjektiven Denkbewegungen (wie "Wert") gilt immer nur unter bestimmten, konkreten Bedingungen, die außer Kraft gesetzt werden können (nicht einfach nur durch anderes Denken, sondern durch reale Veränderungen).

Die konkreten Qualitäten der Waren und der Menschen setzen sich in ihrer Besonderheit gegenüber der einebnenden "VerWertung" durch... Allerdings nur, wenn wir über die "Logik", die "Naturgesetzlichkeit" des nur historisch Bestehenden bewußt hinausgehen und nicht etwa versuchen, das Neue auch noch "logisch" ableiten zu wollen.

Ableitbar sind allgemeine Bedingungen zur Möglichkeit von Neuem - aber nicht die konkreten Formen...

 

Literatur:

Hegel, G.W.F.: Wissenschaft der Logik Bd.II, Frankfurt/M. 1986
Marx (1867), Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, In: Karl Marx Friedrich Engels Werke, Berlin 1988, Band 23

 

 


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