Umweltschutz von unten!
Emanzipatorische Entwürfe
gegen das Kungeln mit der Macht
(Jörg Bergstedt)

Zusammenfassung:

Bisherige Umweltschutzstrategien stärkten nicht das Mitbestimmungsrecht der Menschen, sondern setzten sich über die Durchsetzungsmonopole von Staat und Wirtschaft um, d.h. Umweltschutzorganisationen waren BeraterInnen genau derer, die maßgeblich für die Zerstörung der Umwelt sowie für soziale Unterdrückung verantwortlich sind. Die Folge: Die HauptumweltzerstörerInnen wurden eher noch gestärkt, der Umweltschutz schlidderte in eine Akzeptanzkrise (z.B. Schutzgebiete, Windenergie).

Als neue Strategie wird daher ein "Umweltschutz von unten" vorgeschlagen, der die Menschen zu AkteurInnen macht. Es erreicht damit nicht nur eine höhere Akzeptanz und Mobilisierung, sondern wird bündnisfähig mit anderen gesellschaftspolitischen Strömungen, die emanzipatorische Ziele verfolgen. Ein solcher emanzipatorischer Umweltschutz setzt veränderte Ziele und Strategien sowie tiefgreifende Veränderungen in den Organisationsstrukturen der Umweltschutzbewegung voraus.

Große Teile des Natur­ und Umweltschutzes sind immer VerfechterInnen eines starken Staates gewesen. Die Menschen, seien es die BürgerInnen im allgemeinen oder Hausfrauen und ­männer, NaturnutzerInnen usw. im speziellen, stehen bei ihnen immer nur in der Rolle des Objektes, noch dazu eines dummen und unbelehrbaren. Die Menschen müssen per Bewußtseinsbildung, Gesetz oder Umweltbildung zu etwas gebracht werden, was sie scheinbar nicht selbst wollen und was sich »oben« irgendwelche Mächtigen oder deren BeraterInnen ausgedacht haben.

NaturschützerInnen fordern immer wieder härtere Strafen oder Polizei- und Behördeneinsätze gegen UmweltzerstörerInnen. International gipfeln die Machtvisionen der NaturschutzstrategInnen in wilden Phantasien von Grünhelm-Kampfeinsätzen, Schuldenerlaß gegen Umweltschutzleistungen, Großschutzgebieten, wie sie im eigenen, zerstörten Land nicht mehr möglich sind usw.

Kaum besser sind ihre theoretischen Entwürfe: Ob Nationalparkkonzepte, die Agenda 21oder die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« - überall ist die Herrschaftsfrage ausgeklammert (im Film "Zukunftsfähiges Deutschland", beworben und vertrieben u.a. vom BUND, darf Ernst­Ulrich von Weizsäcker sogar für die Monarchie werben: "Die heutige Demokratie tut sich schwer mit einer Legitimierung für Langfristanliegen. Das war in religiösen Gesellschaften viel einfacher, das war selbst in der Monarchie einfacher"). Das »Oben« und »Unten« soll unangetastet bleiben, nur daß die NaturschutzfunktionärInnen gerne oben dabei wären. Statt vor Ort mit den Menschen um gemeinsame Regelungen zu ringen oder gegen steigenden Machtmißbrauch (wozu auch die Umweltzerstörung gehört!) zu kämpfen, fühlen sie sich an runden Tischen mit erlauchter Atmosphäre wohler. Sie hoffen, die Mächtigen für ihre Anliegen zu gewinnen, damit dann über deren Machtapparate die eigenen Ideen umgesetzt werden.

Der Naturschutz hat zudem eine düstere Vergangenheit. Seine Instrumentarien stammen aus dem Kaiserreich oder der Nazizeit (z.B. die »moderne Naturschutzgesetzgebung«). Verändert wurde wenig. Emanzipatorische, d.h. die Mit­ und Selbstbestimmung fördernde, Instrumente fehlen im Naturschutz fast ganz. Die betroffenen BürgerInnen bleiben außen vor, es ist mehr ein »Deal« zwischen zwei Mächtigen, der Obrigkeit und dem/der EigentümerIn der Fläche. Es wäre klug und, eben wegen der dunklen Vergangenheit, gerecht, wenn gerade der Natur­ und Umweltschutz zu einem Vorreiter einer veränderten Strategie würde, in der die bisherige Logik politischer Entscheidungen auf den Kopf gestellt wird.

Umweltschutz als Kampf gegen Ausbeutungsstrukturen

Es gibt keine Alternative dazu, den Umweltschutz als Teil einer die Gesellschaft insgesamt verändernden Bewegung zu begreifen. Es sind die gleichen Mechanismen und Strukturen, welche die Natur (Tiere, Pflanzen und unbelebte Teile der Umwelt) ausbeuten und welche Menschen unterdrücken, ausbeuten, ausgrenzen oder für die Sache des Kapitals (als verbreitetste Machtform) bzw. anderer Mächtiger zu instrumentalisieren versuchen. Es wäre unsolidarisch, die eigenen Ziele mit genau denen erreichen zu wollen, die die Probleme der anderen und auch bisher die Umweltprobleme schaffen. Aber es ist auch unsinnig, denn die Ausbeutung der Umwelt ist eine der real existierenden Ausbeutungsstrukturen. Die VerursacherInnen können nicht gleichzeitig PartnerInnen bei der Rettung sein – auch wenn sie sich zwecks Tarnung selbst gerne dazu aufspielen.

UmweltschützerInnen können sich entscheiden, ob sie einen Umweltschutz "von oben" oder "von unten" wollen. Der Weg "von unten" ist grundlegend anders als die aktuellen Strategien. Ziel ist hier der Abbau von Herrschaftsstrukturen. Nicht zu verwechseln ist das mit der Strategie, die VerbraucherInnen als Zielgruppe zu begreifen und in der Steuerung ihres Verhaltens die Lösung der Umweltprobleme zu sehen. "Unten" ist nicht Zielgruppe, sondern dort sind die AkteurInnen. "Unten" muß nicht belehrt oder gar gezwungen werden, sondern entscheidet selbstbestimmt. Natürlich geschieht Umweltschutz dann nicht automatisch (genausowenig, wie Umweltschutz in Parlamenten gesichert beücksichtigt wird - die Politik des letzten Jahrzehnts zeigt eher das Gegenteil!), sondern müßte aus der freien Willensentscheidung der Menschen heraus verwirklicht werden. Die Menschen werden allerdings die Verantwortung für ihr Handeln tragen und können keine Machtmittel einsetzen, um z.B. Umweltbelastungen in andere Regionen und damit zu anderen Menschen zu verschieben.

Es spricht vieles dafür, daß selbstbestimmt lebende Menschen, deren Umwelt gleichzeitig ihre Lebensgrundlage darstellt, mit dieser anders umgehen wie Menschen z.B. in Parlamenten, die Entscheidungen treffen, aber von den Konsequenzen in der Regel nie berührt werden.

Um Umweltschutz durchsetzungsfähiger zu machen und weil die Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen Menschen den UmweltschützerInnen nicht gleichgültig sein dürfen, ist es notwendig, einen Umweltschutz von unten zu entwickeln. Der umfaßt alle die Menschen befreienden, Herrschaftsstrukturen abbauenden, d.h. emanzipatorischen Umweltschutzstrategien. Nicht Firmen, GrundeigentümerInnen und Regierungen bestimmen über die Nutzung der Umweltgüter, sondern die Menschen selbst. Der Flächen- und Rohstoffverbrauch muß zur Entscheidungssache auf unterster Ebene werden, die Gewinnung, Verarbeitung und der Handel mit ihnen ist Sache der Menschen selbst, nicht höherer Institutionen, Regierungen oder des "Marktes" mit seinen Institutionen. Die Utopie einer emanzipatorischen Gesellschaft muß auf dieser Grundlage des selbstbestimmten Umgangs der Menschen mit ihrer Natur aufbauen.

Ziele und konkrete Forderungen benennen

Das Ziel eines emanzipatorischen Umweltschutzes muß zunächst benannt und der Ökologie von oben gegenübergestellt werden. Veranstaltungen, Diskussionen in der Öffentlichkeit oder in Umweltschutz- und anderen politischen Organisationen, symbolische Aktionen, Bildungsarbeit, Herausgabe von Schriften, Pressearbeit und vieles mehr können dazu dienen. Die Diskussion darf keine Nischendiskussion werden, sondern muß auch dort geführt, wo die PraktikerInnen der Umweltschutzarbeit sind.

Zur Diskussion gehört das Formulieren der Ziele – Utopien für die gesamte Gesellschaft, für die Umweltschutzarbeit insgesamt oder für Teilfragen. Visionen bieten Zündstoff, können Motivieren und Bewegen. Strategien sind notwendig, das Visionäre in kleine Schritte zu zerlegen, um ihnen Stück für Stück näher zu kommen. Die kleinen Schritte wiederum müssen immer darauf untersucht werden, ob sie der Vision und den Grundsätzen emanzipatorischer Arbeit entsprechen.

Selbst im heutigen, realpolitischen Raum lassen sich einzelne Schritte in diese Richtung einfordern oder schon konkret verwirklichen:

  • Dezentralisierung statt EU und Weltregierung
    Zur Zeit stellen viele Umweltschutzorganisationen hohe Forderungen an die EU, z.T. auch an die UNO, und erwarten von dieser die Durchsetzung von Umweltschutzstandards. Abgesehen davon, daß auf diesen Ebenen Umweltschutzinteressen besonders schwach sind, widersprechen solche Forderungen auch emanzipatorischen Zielen. Danach müßte eher eine Dezentralisierung politischer Entscheidungsbefugnisse und die Stärkung direkter Demokratie eingefordert werden.
  • Demokratisierung statt ökologischer Steuerreform
    Die Ökosteuer soll den Verbrauch in der Idealform den Rohstoff- und Flächenverbrauch, in der z.Zt. geforderten Variante nur Teile des Energieverbrauches über eine Verteuerung reduzieren. Dabei bedient sie sich allerdings marktwirtschaftlicher Mittel, d.h. in Zukunft entscheidet die Finanzkraft der Unternehmen und sonstigen EnergieverbraucherInnen, wer wieviel Energie verbrauchen bzw. durch Investitionen in neue Technik Vorteile erreichen kann. Der Einfluß der Menschen wird geschwächt. Gegenmodell wäre eine Demokratisierung des Rohstoff- und Flächenverbrauches weltweit, d.h. in Zukunft müßten die jeweils betroffenen Menschen in einer Region allen Nutzungen von Flächen und Rohstoffen zustimmen.
  • Verträge statt Verordnungen
    Wo die Menschen bzw. der Staat die UmweltnutzerInnen zu umweltgerechter Bewirtschaftung bringen will, gelten bislang bevorzugt Verordnungen, Grenzwerte - und die meist in für den Umweltschutz untauglicher Form. Künftig werden diese durch freiwillige Vereinbarungen abgelöst, z.B. durch Verträge, in denen NutzerInnen (z.B. LandwirtInnen) Flächen und Rohstoffe naturverträglich nutzen, dafür aber Gegenleistungen erhalten. Das können Fördergelder von Seiten des Staates (Vertragsnaturschutz) oder Abnahmegarantien der Menschen in einem Dorf, einer Stadt oder Region (ErzeugerInnen-VerbraucherInnen-Gemeinschaften) sein.
  • Direkte Demokratie statt NGOs
    Viele Umweltorganisationen fordern vor allem für sich selbst bzw. die Nichtregierungsorganisationen im allgemeinen mehr Rechte sein bis hin zu einer dritten Kammer neben Bundestag und Bundesrat oder gar die Idee des ökologischen Rates, eines demokratisch nicht legitimierten, nicht abwählbaren Exekutivrates aus Persönlichkeiten des Umweltschutzes. Ihr Interesse gilt nicht dem Machtabbau, sondern der Beteiligung an der Macht. Stattdessen sollte die Verbesserung der allgemeinen Beteiligungsrechte und der direkten Demokratie gefordert werden. Umweltschutzorganisationen sollten ihre Rolle darin finden, die Artikulierung bzw. den Protest der Menschen zu organisieren, Informationen bereitzustellen usw.

 

Unabhängige Arbeitsstrukturen

Neben den inhaltlichen Zielbestimmungen und Positionen müssen Naturschutzgruppen ihre Unabhängigkeit und Aktionsfähigkeit zurückgewinnen. Emanzipatorischer Umweltschutz ist (wie die meisten anderen Umweltschutzstrategien auch) nicht machbar über Machtstrukturen, d.h. über die, die zur Zeit die Umwelt zerstören. Umweltgruppen müssen öffentlichen Druck ausüben können, Widerstand leisten, Alternativen aufzeigen und Modelle entwickeln, in denen ökologische und emanzipatorische Ziele gleichermaßen zum Ausdruck kommen. Um das zu erreichen, wird es mehr bedürfen als kleiner Reförmchen in den verkrusteten, staats- und wirtschaftsnahen Umweltschutzstrukturen. Nötig sind eigene und unabhängige Wege in die Öffentlichkeit (Medien, Veröffentlichungen, Veranstaltungen), alternative Ansätze in der Bildungsarbeit, die Stärkung der Basisarbeit, die bessere Verbindung von Basisgruppen und Vernetzungsknoten sowie das Training in direkten Aktionsformen, um auch dann handlungsfähig zu sein, wenn öffentlicher Druck nicht entsteht oder die EntscheidungsträgerInnen in Politik und Wirtschaft diesen mißachten.

Modelle und Kristallisationspunkte schaffen

Gesellschaftliche Bewegung entsteht nicht allein über theoretische Entwürfe, praktischen Widerstand oder politische Forderungen. Wichtig sind Modelle und Kristallisationspunkte, an dem Kritik, Alternativen und die Gegensätze gleichermaßen deutlich werden. Sie schaffen im günstigsten Fall Symbole für Kritik und Ziele der emanzipatorischen Umweltschutzarbeit.

Sinnvoll ist der Widerstand gegen solche Projekte, in dem sich die herrschenden Verhältnisse oder die Zukunftspläne der Mächtigen besonders deutlich offenbaren: Gegen Großprojekte, vor und während Werbeveranstaltungen wie der Expo 2000 oder bei tiefgreifenden politischen Entscheidungen (z.B. dem MAI oder Weltwirtschaftsgipfeln) lassen sich nicht nur konkrete Positionen einbringen, sondern auch grundlegende Alternativen zu herrschenden Gesellschaftsformen und den Entscheidungsstrukturen benennen. Hier können Umwelt- und andere politische Bewegungen zusammenarbeiten, um gemeinsam wirkungsvoller in der Öffentlichkeit die Kritik an den herrschenden Verhältnissen und Zukunftsvisionen zu üben und eigene Alternativen vorzuschlagen.

Auch im kleinen können solche Kristallisationspunkte oder eigene Gegenmodelle für selbstorganisiertes Leben, das Zurückdrängen der Ökonomie oder wirksamen Naturschutz gefunden werden.

 

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