2.4. Allgemeine Produktionstechnologie

Die bisher meist als "alternativ" und "angepaßt" betrachteten Bereiche betreffen einige unmittelbare Schnittstellen zwischen menschlichen Bedürfnissen und der Erlangung von Mitteln zu ihrer Befriedigung aus der Umwelt. Völlig außer Acht gelassen bleiben hier meist bisher gerade die Kernzonen moderner Produktion: die industrielle Warenproduktion. Hier gibt es rein technologisch weniger Chancen für eine verbesserte Stoff- und Energieproduktivität im ökologischen Sinne.

Für die allgemeine Frage nach den Möglichkeiten von Emanzipation ist es aber wesentlich, die Art und Weise der Produktion zu betrachten. Behindert oder ermöglicht das, was doch noch einen Hauptteil unseres Lebens ausmacht - die Produktion - menschliche Emanzipation? Wir müssen auch überlegen, daß die Wundermaschinchen des Kapitalismus nicht einfach weiterlaufen und die Kaufhäuser füllen werden, wenn sich die Machtverhältnisse verändert haben. Die "realen Sozialisten" haben die harte Erfahrung machen müssen, daß die Erfordernisse der Ökonomie zumindest nicht überlistet werden können. Schon Marx wußte, daß ohne ausreichende Produktivität, d.h. unter ökonomischen Mangelverhältnissen, der "ganze alte Scheiß" wieder von vorne losgeht... In unserer Zeit kommen uns aber neue Möglichkeiten entgegen, die wir nur noch ergreifen brauchen: Innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise entwickeln sich inzwischen neue Produktionsformen, die die Potenz in sich tragen, über die kapitalistische Produktionsweise hinauszuweisen.

Informationsgesellschaft

Wie ist ökologische Technologie möglich ohne Rückfall in handwerklich-landwirtschaftliche Arbeitsbelastung?

Jede Arbeit verbraucht Stoffe und Energien und läßt Abprodukte und Abwärme zurück. Die "Veredelung" der Ausgangsstoffe für unsere Bedürfnisbefriedigung hinterläßt unabweisbar "verbrauchte Energie" (d.h., diese wird - als sog. "Entropie" - ausgeschieden, exportiert). Durch den Einsatz von mehr und geeigneter Information im Vergleich zu Stoff und Energie kann der Umgang mit Stoffen und Energien prinzipiell extrem qualitativ effektiviert und damit quantitativ reduziert werden. Der "auch für die Technikevolution notwendige Entropieexport (kann) zum Teil durch einen Informationsimport ersetzt werden" (Reichel, S. 89).

Ob diese Option jedoch tatsächlich realisiert wird, hängt nicht nur von ihrer technischen Machbarkeit ab, sondern viel mehr von der sozialökonomischen Bestimmung des Zwecks der Produktion. Hier haben wir unter kapitalistischen Bedingungen nicht viel zu erwarten. Entgegen den Erwartungen sanken die Reiseflugkilometer der Manager und ihrer Bediensteten trotz der Möglichkeit der Nutzung von Telekonferenzen nicht. Auch Telearbeit verringert die Fahrzeiten der Menschen nicht, Urlaube werden auch nicht durch Videos ersetzt und der Einsatz des Internets erhöht den Waren-Irrlauf über den Erdball nur noch zusätzlich...

Selbst-Organisations-Technik

Die ökologischen verhängnisvollen Folgen kapitalistischer Produktion sind letztlich vor allem auf den immer höheren Energieverbrauch (auch beim Recyceln!) zurückzuführen. Diese Energien werden benötigt, weil die technischen Strukturen selbst nach dem Prinzip des Strukturerhalts, d.h. thermodynamischer Gleichgewichte, gestaltet sind. Denkbar und möglich wären jedoch im ersten Schritt auch andersgeartete "Technologien, die sich auf Symbiose selbstorganisierender Systeme stützen" (Maier, S. 37). Dabei bleibt, wie bei den Vorschlägen von F. Vester, die Technik selbst gleichgewichtsorientiert, geht aber eine Symbiose mit sich selbst organisierenden, lebendigen Systemen ein. Das erfordert jedoch andere Vergesellschaftungsformen - nämlich ihren Austausch selbst, "von unten" regelnde Subsysteme - , wie auch schon Vester gesehen hat. Zusätzlich besteht die prinzipielle Möglichkeit, technische Systeme selbst als im Ungleichgewicht sich selbst organisierende und bewegende zu gestalten. Dazu werden wichtige Voraussetzunge, wie dezentralisierende Vernetzung etc. schon jetzt bereitgestellt.

Als utopische Vision können wir uns für den Endnutzer vielleicht den bekannten "Replikator" aus den StarTrek-Folgen vorstellen. Eher unsichtbar, aber effektiv und produktiv stellt eine auf Modularität beruhende vernetzte und integrierte Produktionstechnik die jeweils benötigten Dinge her. Begriffe wie "individuelle Massenpodukte", "wandlungsfähige Produkte" und ähnliches gehören heute schon zum Standardwerkzeug der Konstrukteure und Technologen. Ich glaube, viele politisch engagierte Menschen übersehen diese "graue Produktionsalltagswelt" nur allzugern und wissen deshalb nichts über faszinierende Entwicklungen in diesem Bereich, die unabdingbar für eine umfassende Vision einer neuen Gesellschaft sind.

Wichtige Merkmale dieser neuen Formen und Prozesse sind:

  1. Die (noch Arbeit habenden) Menschen stehen im Mittelpunkt - der Ausbeutung natürlich. Sie werden aber immer wichtiger als kreativer und mehrwertserzeugender "Produktionsfaktor", weil die In-Wert-Setzung der Natur und die Ausreizung der ein technischen Mittel zur Profitsteigerung an ihre Grenzen gelangt ist. Die maximale Ausnutzung der menschlichen Fähigkeit, Mehrwert zu erzeugen, ist das gemeinsame Ziel aller modernen Managementformen wie Lean Production.
  2. Auf Grundlage der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, neuartiger Produktionsplanungs- und - Steuerungssysteme und flexibler Automatisierung werden die Produktionsprozesse neu organisiert. Das Neue ist von einem Rückgang der Zentralisierung und einer Hinwendung zu dezentral-vernetzten Strukturen geprägt.

Beide Aspekte werden zwar unter den jetzigen Bedingungen der Kapitalherrschaft gegen die Interessen der Menschen - einseitig zugunsten des Kapitals, der "Investoren" genutzt. Sie stellen aber gleichzeitig (von diesen Akteuren ungewollt) eine Basis dar, aus der wir etwas machen können.

  1. Die Menschen im Produktionsprozeß erhalten - notgedrungenermaßen - mehr Wissen und mehr Fähigkeiten, die Produktion in kleinen Gruppen selbständig zu steuern. Dadurch entsteht Kompetenz, Einsicht in die komplexe Produktion, aber auch Teamwork-Fähigkeit (vgl. Schlemm). Dadurch wird der früher üblichen Entfremdung entgegengewirkt, die durch die triste Fließbandarbeit und zu strikte Arbeitsteilung entstand. Dadurch entsteht und entfaltet sich eine wichtige Voraussetzung für Emanzipation: Bewußtheit der eigenen Rolle im gesellschaftlichen Leben, Fähigkeit zur Selbstorganisation in Gruppen...
  2. Dezentralisierung ist die strukturelle Hauptforderung an eine ökologische und demokratische Wirtschaft und Politik. Wichtige (technische) Voraussetzungen werden hier entwickelt und es wäre schade, wenn wir diese übersehen, nicht beachten, langfristig nicht ausnutzen würden.

Voraussetzungen allein ergeben jedoch nicht automatisch eine ökologische und emanzipative Nutzung - dies müssen wir schon noch selber tun! Bei einer Konzentration auf die "reine Ökologie" (Energie, Verkehr, Wohnen, Ernährung) oder pauschaler Technikkritik würden wir diese Potenzen jedoch übersehen!

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2.5. Die revolutionären Potenzen der Informationsgesellschaft


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