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Rezension von Annette Schlemm: Daniel Suarez: "Daemon" und "Darknet"Rowohlt Taschenbauch Verlag, 2010, 2011
Ich wurde im Keimform-Blog auf den Autor Daniel Suarez aufmerksam. Von ihm wurden Aussagen aus einem Interview zitiert, die frappierend an neuere gesellschaftspolitische Alternativkonzepte erinnern: Die Initiative muss daher vielmehr aus dem Volk kommen – und dabei denke ich nicht an Proteste und Demonstrationen, sondern an den Aufbau und die Erprobung neuer Wirtschaftsformen, [...] vermaschte Open-Source-Netzwerke, die eine neue Ökonomie und damit ein soziales Geflecht schaffen, das die etablierten Mächte samt ihren selbsternannten Torwächtern und Lobbyisten eher umginge als stürzte. Solch ein System würde zunächst nur in embryonaler Form geschaffen. (Quelle) |
Als Autor wurde Suarez bekannt, nachdem er sein Buch erstes „Daemon“ zuerst im Eigenverlag veröffentlicht hatte und auf eine überwältigende Resonanz stieß (zum zweiten Buch siehe weiter unten). Das Buch, „Daemon. Die Welt ist nur ein Spiel“ basiert auf tatsächlichen Trends der Computervernetzung vor allem in der Online-Spielewelt. Sobol, der mit Online-Spielen ein Weltunternehmen aufbaute, wirkt nach seinem Tod weiter in dem von ihm erzeugten Programm, das mit realen Menschen interagiert und entsprechend ihren verschiedenen Reaktionen dann mit vorbereiteten Aktionen antwortet. Es bringt Menschen dazu, für ihn zu arbeiten. Es infiltriert Firmennetze und ist für den Tod vieler Menschen verantwortlich.
Deshalb wird er zum Feind Nummer 1 von staatlichen und Unternehmensstreitkräften. Dass die Angriffe aus dem Internet heraus organisiert werden, ist bald klar. Das kann man weder einsperren noch einfach stilllegen. Der unheimliche Feind umgeht eine Falle nach der anderen und vollführt wahre Gemetzel an seinen Verfolgern. Wenn man also klammheimliche Freude am Bösen spürt, kann man das Buch zu weiten Teilen genießen. Ansonsten wünscht man sich endlich den Umschwung..., aber je weiter die Geschichte sich entwickelt, desto unschärfer wird, wer zu den Bösen und wer zu den Guten gehört. Ganz nebenbei offenbaren die Beteiligten gern verschwiegene Praktiken des real existierenden Kapitalismus. „Bevor sich das Corporate Marketing der Sache annahm, nannte man es „Eroberung“. Jetzt war es Regionalentwicklung.“
Denn wie immer entführt uns gute Science Fiction nicht wirklich von der eigenen Wirklichkeit, sondern entblößt ihre Schleier, die sie uns erträglich machen. Ein Mensch wird hier genannt, was er ist, nämlich „ein Konstrukt – ein Haufen Pflichten mit einer Mailadresse“. Wer ist heutzutage – vor allem in der Berufspraxis - mehr?
Gegen Ende des ersten Bandes beginnt sich Sobol zu erklären. Seine Aktivitäten haben einen Grund und der liegt darin, dass der Entwicklungstrend in der realen Welt sich von selbst in eine gefährliche Richtung begibt: Fortschreitende Technologieentwicklung bei tödlichem Marktwettbewerb lässt gesetzlose Regionen mit Brutstätten des Verbrechens und Terrors entstehen. Sobol sieht, dass die Menschen sich von selbst nicht aus der Macht der Gewohnheit und der Unterdrückung lösen können. Also übernimmt er die “Drecksarbeit“ der Zerstörung des Alten. Das jedoch kommt einer Kapitalfraktion sogar recht: Sie will als Siegerin aus dem ganzen Chaos hervorgehen, deshalb sind gar nicht alle seiner Bekämpfer darauf aus, ihn unschädlich zu machen, sondern sie wollen ihn im eigenen Interesse „umdrehen“. Für die beteiligten Personen ist das fürs erste undurchschaubar, sie sind nicht mehr als Spieler in Sobols Spiel, das aus der PC-Vernetzung heraus das reale Leben umzustülpen droht.
Letztlich werden es jedoch Sobols freiwillige oder unfreiwillige Gehilfen sein, die über die Zukunft der Menschheit bestimmen.
Für mich ist dieser zweite Band viel spannender und geradezu gespickt mit Anspielungen darauf, wie die Wirtschaftsweise des real existierenden Kapitalismus aus dem Ruder läuft und wie sich die Superreichen ausgerechnet daran wieder zu bereichern verstehen. Und das Diabolische, Dämonische wird im Darknet vom Instrument der Abrechnung zur „Widerspiegelung der Menschen, die es bilden“. Die Spielstruktur ändert sich:
Spätestens als das Darknet für immer mehr Menschen, die im normalen Leben alle Sicherheiten verloren haben, attraktiv wird und als die ausbeuterischen Unternehmensstrukturen an der Existenz der Alternative zu leiden beginnt, beginnt die heiße Auseinandersetzung. Kommunen werden zerstört und der Öffentlichkeit als Beseitigung von Terroristen verkauft. Die Kampfsituation bringt es mit sich, dass auch auf Seiten der Darknet-Kommunen der Brutalste am erfolgreichsten ist und den dezentralen selbstbestimmten Charakter dessen, was er verteidigen will, in Gefahr bringt. Wie im wirklichen Leben... Es kommt nun doch zu einem Showdown mit noch einigen Überraschungen.
Ich habe mich mit diesen beiden Büchern mal wieder für mehrere Lesestunden zurück gezogen und fand das Feeling wieder, das ich einst bei „utopischer Literatur“ hatte und das angesichts von Cyberpunk und anderen Dystopien ziemlich verloren ging. „Daemon“ und „Darknet“ sind nicht weniger düster-realistisch, aber sie lassen Raum für Hoffnung und letztlich auch Engagement. Die Aufforderung gilt:
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