Rezension von Annette Schlemm:

Philip K. Dick: Der unmögliche Planet. Stories.

Wilhelm Heyne Verlag. München 2002. (1. Auflage 1987)
 
Die Kurzgeschichten von Philip K.Dick brauchen SF-Kennern nicht mehr vorgestellt werden. Und für jüngere SF-Fans, die längst auf dem "unmöglichen Planeten" leben, ist es kein Fiction mehr, sondern die sie alltäglich umgebende Irrealität, die Dick beschrieb.
Dicks geistige Welt explodierte in unzähligen Kurzgeschichten und vielen fast ebenso schnell geschriebenen Romanen verschiedenster Art, die alle durch ihre Doppel- und Mehrfachbödigkeit auffielen. Was in den 50er Jahren noch als beängstigende Verfremdung oder bedenkliche Extrapolation zwischen Machtprotzutopien und naiven Zukunftstraumwelten hervortrat, erschreckt heute umso mehr ob ihrer Weit- und Voraussichtigkeit.

So lässt Dick die Menschen seiner Zukunft dauernd Kriege führen (Gewisse Lebensformen, 1953), weil wir das "Zeug brauchen", das woanders lagert, wo Andere leben, denen wir das leider wegnehmen müssen, weil "wir es brauchen". Nein, Dick schreibt nichts vom Öl im Irak, sondern vom Rexeroid auf dem Mars, dem Kryon von der Venus und irgend etwas anderem von Callisto- ein wenig Phantasie muss schon sein. Der Vater zieht in diesen leider aufgezwungenen Krieg um den "einzigen anorganischen Stoff im System, der sich selbsttätig an Temperaturveränderungen anpaßt"; der Sohn wird geopfert, damit wir "das Zeug, das bewirkt daß Ihre Haustür sich nur für Sie öffnet" bekommen und schließlich sind nur noch die Frauen da, die eingezogen werden um das Material zu beschaffen, das die Mahlzeitenwähler unbedingt brauchen. Als die Orioner ihre Nachbarn im All, auf dem Planeten Erde, besuchen wollen, hoffen sie noch lange, dass die Verschwundenen irgendwann zurück kommen...

Ebenso wenig unmöglich ist es angesichts aktueller Entwicklungen, dass uns die Konzerne nicht mehr nur Lebens- und Luxusmittel anbieten, sondern uns zum Kauf von Überlebensmitteln zwingen können. "Forster, du bist tot" hört der kleine Junge von Kindesbeinen an, weil sein Vater sich lange weigert, den Familienbunker zu kaufen, den heutzutage doch jede/r braucht! Wenn mit Jacken, Schuhen, immer mehr Autos und auch den letzten Gebissen nicht mehr genug Profit gemacht werden kann, bleibt nur noch das übrig, woran jeder Mensch hängt: Seine Überlebensfähigkeit. Auch die muss und wird zu Profit gemacht werden, wie Dick schon 1955 beschrieb. "Es kann sein, daß einer es irgendwann satt hat, jedes Jahr ein neues Auto zu kaufen und damit aufhört, aber er wird nie aufhören, Bunker zu kaufen, um seine Kinder zu schützen... eine perfekte Verkaufsmasche. Erwerben oder sterben - neuer Slogan." (S. 318, 331).

Der Gedanke, dass die Wirtschaft auf diese Weise an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen vorbeirattert, wird weiter getrieben in der Geschichte "Autofab" (auch 1955). Die Konsumenten versuchen erst vorsichtig, dem Lieferauto und seinem Roboter klar zu machen, dass sie die gelieferte Milch nicht mögen. Als ihnen das nicht gelingt, werden sie stutzig. Erschrocken stellen sie fest, dass die automatischen Fabrikationsanlagen in ihrem Übereifer hemmungslos die Ressourcen der Welt aufbrauchen. Wer träumt da noch von "Nachhaltigkeit"? "Jede Fabrik ist auf ihren eigenen Betriebsbereich beschränkt... aber das System an sich ist unbegrenzt. Es kann unsere Rohstoffe ewig weiter ausschöpfen. Das Institut hat beschlossen, daß es höchste Priorität genießt; wir einfachen Menschen kommen erst an zweiter Stelle. - Ist denn dann überhaupt noch was für uns übrig? - ... Nur, wenn wir den Betrieb des Systems stoppen können." (S. 346). Dies versuchen sie dann auch, u.a. indem sie Teile der Produktion selbst übernehmen, um das alte System überflüssig zu machen. Aber das geht nicht ohne Maschinen... Menschen kämpfen gegen den maschinellen Automatismus. Hat Dick die Antiglobalisierungskämpfe vorausgeahnt? Ein wenig ist uns Dick hier auch jetzt noch voraus. Seine Menschen siegen, aber sie ahnen nicht, was die Maschinen noch in der Hinterhand haben....

Dass Macht nicht nur dinglich-maschinell wirkt, sondern in den Köpfen der Menschen am besten funktioniert, beschreibt Dick in "Nach Nancys Vorbild" (1955). "Harmlos und banal" setzt sich der "tatsächlich erfolgreiche totalitäre Staat" (S. 389) durch - über Mediengehirnwäsche.

Aber ich will die faszinierenden Ideen von Dicks Geschichten nicht weiter zerreden. Jede/r Lesende wird andere Momente wichtig finden, von anderen Fragestellungen berührt werden. Gerade weil einige seiner Ideen auch medienwirksam in prägende Bilder umgesetzt wurden (Blade Runner, Minority Report, Total Recall), finde ich es besonders wichtig, mehr in die schriftlich besser erhaltenen Verästelungen seiner Gedankennetzwerke einzudringen und sich nicht nur auf die großen Bilder zu beschränken. Erstaunlicherweise lässt zumindest mich die Lektüre der eher entillusionierenden Geschichten nicht einmal traurig zurück, entmutigt schon gar nicht.

Eine der ersten Geschichten - von vor genau 50 Jahren - lässt uns sogar direkt ein Zipfelchen Hoffnung (Die Verteidiger, 1953). Wenn es erst soweit gekommen ist, dass wir seit Jahren unter der Erdoberfläche unser Dasein fristen und künstliche Bleimänner die Kriege für uns führen, dann werden vielleicht die künstlichen Intelligenzen auf den genialen Gedanken kommen, die Kriege endlich zu beenden, auch wenn sie das vor uns so lange wie möglich - bis wir selbst vielleicht zu dieser Reife kommen - verschweigen! Uns ist es nicht verschwiegen, wohin unser Tun und Lassen führt. Dick hat es ins Tagebuch unseres "unmöglichen Planeten" geschrieben.

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