gelesen:
 
Joachim Gneist:
 
Wenn Haß und Liebe sich umarmen.
Das Borderline-Syndrom.

 
München, Zürich, 6. Auflage 2002.

Was bedeutet "Borderline"?
"Der Ausdruck "Borderline-Persönlichkeit" kam in den 40er Jahren auf und war ursprünglich eine Verlegenheitsdiagnose, die auf eine Grenzstörung bzw. das Niemandsland zwischen Psychose und Neurose hinweisen sollte. Das Lebensthema von Borderline- Menschen sind ihre nicht vorhandenen oder unklaren Grenzen... Nach vorsichtigen Schätzungen sind bereits 5% der Gesamtbevölkerung betroffen. Das ist die drittgrößte Gruppe offiziell psychisch Kranker, nach den Süchtigen und den Depressiven." (S. 10) J. Gneist betrachtet das Borderline-Verhalten als spezifische Überlebensstrategien (S. 11) - in einer Welt, die mitunter selbst als "Borderline-Gesellschaft" bezeichnet wird. "Borderline-Menschen können gleichsam als Symptomträger in einer Gesellschaft mit Borderline-Zügen angesehen werden.".

"Gerade Borderline-Menschen entlarven jegliche moderne Entscheidungslogik, als hätten wir stets Wahlmöglichkeiten, bräuchten nur zu etwas "Ja" oder "Nein" zu sagen. Was ist das für eine Wahl, kontern sie, wenn sie, was man auch wählt, zum Tode führt? Man hat dies die "Weder-noch-Logik" des Borderline-Kranken genannt. Mir erscheint sie in diesem Fall gesund und grundehrlich." (S. 216)

"Müßte es nicht eigentlich jeden Menschen verunsichern oder vielmehr zerreißen, wenn er sich auf die Wirklichkeit von Kriegen, Armut und Hunger auf der einen Seite und Wegwerf-, Recycling- und Konsumaktionismus auf der anderen Seite einläßt? Ein Wunder, daß nicht viel mehr Menschen verrückt werden, die das durchschauen!" (S. 238)

Merkmale

  • "Borderline-Menschen zeigen etwas, was alle Menschen in sich tragen: Mißtrauen und Aggressivität." (S. 14)
  • Ringen um Kontakt mit der Wirklichkeit
  • sprunghaft im Handeln und herausfordernd in ihren Gefühlsäußerungen
  • in anderen bekämpfen, was in sich selbst abgelehnt wird.
  • Kipp-Phänomen: plötzliche Stimmungsänderungen
  • Nähe- und Distanzwünsche nicht ausbalancieren können, es aber lebenslang versuchen (S. 110)
  • unterschiedliches Mischungsverhältnis liebenswerter und erschreckender Seiten, kreativer und (selbst-)zerstörerischer Tendenzen (S. 25)
  • Idealisierung und Entwertung (oft gleichzeitig bzw. scheinbar unbegründet von einem Extrem ins andere wechselnd) anderer Menschen
  • "Borderline-Menschen leiden unter ihrer Nicht-Beziehung, fürchten aber noch mehr, in der Beziehung verloren zu gehen." (S. 63)
  • Selbstmordtendenz
  • oft Selbstverletzungen
(mehr siehe zur Zusammenstellung zu "Erscheinungsbilder und Persönlichkeit des Borderline-Menschen" S. 25ff.; im medizinischen Sinne wurden auch genaue Diagnoserichtlinien für die zwei möglichen "Typen" von Borderlinern definiert... , dazu: "Um einem Menschen gerecht zu werden, müßten wir für jeden einzelnen eine eigene psychologische Theorie entwerfen!" (S. 222))

Fördernde Faktoren

  • frühkindliche Traumatisierungen - Überleben oft nur möglich mit "selbst auferlegter Gehirnwäsche" (S. 51)
  • "Borderline- Menschen sind untergründig, manchmal auch ganz handgreiflich als Kleinkinder verunsichert worden. Davon können sie als Jugendliche und Erwachsene immer noch innerlich blockiert sein. Das Gefühl, unvorhersehbar unberechenbar schlimm aus dem seelischen Gleichgewicht geraten zu können, überträgt sich im Zusammensein auf andere." (S. 52)
  • "Wenn das Gefühl von Verbundensein und Für-sich-selbst-Sein zu wenig erlebt und zu wenig vermittelt wurde, können solche oben beschriebenen körperlich-seelischen Unruhezustände bis zur Verwirrtheit als Überlebensfolie (um die Seele vor weiterer Verletzung zu schützen) vielen Menschen dauerhaft Borderline-Züge verleihen." (S. 80)
  • "Wenn sich die Umwelt dem allen Sinnes- und Erlebnisreizen aufgeschlossenen jungen Leuten als unharmonisch und verabscheuungswürdig erweist, erzeugt dies jene immer andauernde Hochspannung, die unter anderem das Leben des erwachsenen Borderline-Menschen prägt." (S. 41)
  • Angst: "Ihre Angst treibt sie oft dazu, sich gefühlsmäßig so aufzuspalten, daß sie auf ihr Gegenüber einen abgewehrten Gefühlsanteil von sich ausstrahlen..." (S. 11)

Umgang mit Borderline-Menschen

  • sich ihren erschreckenden Seiten fernhalten und auf ihre positiven eingehen (S. 24)
  • Voraussetzung: Annahme, daß auch bei beziehungsschwierigen Menschen eine beziehungsfähige Seite da ist (S. 24)
  • Selbstwahrnehmung fördern (S. 88), (Mehr speziell zu Therapie siehe S. 192ff.,)
"Borderline-Menschen fordern durch ihre Identitätsunsicherheit ihre Mitmenschen heraus, sich damit auseinanderzuzsetzen, daß wir mehr sind als ein Klumpen Fleisch und Knochen mit elektrochemischem Austausch." (S. 107)

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mehr dazu siehe im Internet, z.B. unter:
www.borderline-plattform.de

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