Eine Botschaft, die von oben und unten kommen muss

In einem Memorandum fordern Juristinnen und Juristen zum Gewaltverzicht in Kosovo und zur Kooperation auf.
Entgegen den Behauptungen der Nato, glaubt IALANA, gebe es durchaus Alternativen zu einem militaerischen Einsatz gegen Slobodan Milosevics Regime in Jugoslawien. In IALANA haben sich Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen zusammengeschlossen.
Die deutsche Sektion von IALANA hat jetzt ein Memorandum vorgelegt, in dem sie eine zivile Politik im Kosovo-Konflikt und eine langfristige Perspektive fuer die Balkanregion fordert. Wir dokumentieren den Text im Wortlaut.

I.
Die Behauptung, "der Westen" habe sich ueber Jahre hinweg um eine friedliche Loesung des Kosovo-Konflikts ernsthaft, aber erfolglos bemueht, deshalb bleibe jetzt nur noch der militaerische Angriff der Nato als einzig realistische Option, eine "humanitaere Katastrophe" zu verhindern, ist falsch.

1. Bereits der in diesen Tagen mehrfach oeffentlich erhobene Vorwurf des Vizepraesidenten der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und CDU-Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer (von 1988 bis 1992 Parlamentarischer Staatssekretaer im Bundesverteidigungsministerium), die Regierungen wichtiger Nato-Staaten wie Grossbritannien und USA haetten bewusst in den letzten Jahren auf ein militaerisches Eingreifen der Nato in Kosovo hingearbeitet und eine nichtmilitaerische Konfliktloesung letztlich hintertrieben, muss alle, die dem Nato-Angriff das Wort reden, aufruetteln und bedarf einer sorgfaeltigen Pruefung.

2. Das Ausmass der Entrechtung der albanischen Bevoelkerung und die Brisanz der Situation in Kosovo ist im Westen seit vielen Jahren bekannt.
Trotzdem wurde der Kosovo-Konflikt im Dayton-Abkommen ausgeklammert. Die gewaltfreie Politik der Kosovo-Albaner erfuhr ueber Jahre hinweg vom Westen keine wirksame Unterstuetzung im Sinne vorbeugender Konfliktbearbeitung. Die westlichen Regierungen versagten so denjenigen die hinreichende Unterstuetzung, die - wie der Kosovo-Politiker Rugova und seine Anhaenger - ueber viele Jahre ohne Gewalt mit zivilen Mitteln um eine politische Kompromissloesung rangen, und ueberliessen sie lange Zeit der politischen Willkuer Belgrads.

3. Die Politik der Regierungen des "Westens" bei der Verteidigung von Menschenrechten war und ist in hohem Masse unglaubwuerdig. Double standards sind an der Tagesordnung, was nicht nur ein Vergleich mit dem Verhalten gegenueber der menschenrechtswidrigen Politik der - vom Westen zudem noch mit Waffen belieferten - Tuerkei in der Kurdenfrage zeigt. Diese unglaubwuerdige und widerspruechliche Politik des Westens hat ganz wesentlich dazu beigetragen, den Einsatz fuer die Verteidigung von Menschenrechten in Kosovo zu diskreditieren.
Einige Beispiele:

  • Einerseits wurde das Vorgehen der Angehoerigen der serbischen Armee und Sonderpolizeieinheiten in Kosovo - zu Recht - als menschenrechtswidrig verurteilt. Andererseits lehnten es die Regierungen der Nato-Staaten ab, die Angehoerigen der serbischen Armee und Sonderpolizeieinheiten aufzufordern, zu desertieren und so dazu beizutragen, dem serbischen Regime das fuer seine menschenrechtsfeindliche Politik in Kosovo erforderliche Repressionspersonal zu entziehen.
  • Sowohl in Deutschland als auch in anderen europaeischen Staaten wurde desertierten serbischen Buergern die Anerkennung als politische Fluechtlinge mit dem "Argument" verweigert, wer aus der serbischen Armee oder den serbischen Sonderpolizeieinheiten desertiere und deshalb bestraft werde, werde nicht politisch verfolgt; denn Deserteure wuerden in jedem Land der Welt (zu Recht) bestraft.
  • Einerseits wurde und wird das serbische Regime beschuldigt, ethnische Saeuberungen durchzufuehren und gegen die Bevoelkerung des Kosovo Voelkermord zu begehen, vor dem man sie militaerisch schuetzen muesse. Andererseits wurde ueber Jahre hinweg bis heute von den hiesigen Asylbehoerden die Annahme einer sog. Gruppenverfolgung von Kosovo-Albanern u. a. mit dem Argument abgelehnt, es gebe kein - fuer eine Asylanerkennung erforderliches - staatliches Verfolgungsprogramm Serbiens gegen die Bewohner des Kosovo. Abgelehnte Asylbewerber wurden sogar bis vor kurzem auf der Grundlage des mit dem Milosevic-Regime im Jahre 1996 abgeschlossenen sog. Rueckfuehrungsabkommens nach Serbien abgeschoben.

4. Das Waffenembargo gegenueber den Konfliktparteien in Kosovo ist nicht eingehalten und hinreichend ueberwacht, sondern sogar - offenkundig nicht nur durch Staaten des ehemaligen Ostblocks, sondern gerade auch vom Westen - gebrochen worden. Die terroristischen Aktionen der albanischen Untergrundarmee UCK - . . . "organisierte und militaerisch bewaffnete Aufstaendische" im Sinne von Art. 87a Abs. 4 des Grundgesetzes - waeren nicht moeglich ohne die Waffenlieferungen aus den USA und anderen Staaten. Die Terroraktionen der UCK einerseits und die brutalen Gegenschlaege des undemokratischen und korrupten Milosevic-Regimes andererseits konnten so erst zur Eskalation der Gewalt in Kosovo in den letzten Monaten fuehren.

5. Das von dem US-Vermittler Richard Holbrooke im Oktober 1998 ausgehandelte Abkommen mit Jugoslawien ist - auch vom Westen - nur unzureichend umgesetzt und implementiert worden.

  • Es ist unterlassen worden, die OSZE-Beobachtermission personell ausreichend auszustatten. Statt der vereinbarten - ohne hin zu geringen - 2000 OSZE-Beobachter sind nur etwa 1200 geschickt worden.
  • Es ist unterlassen worden, vor Ort in Kosovo ausreichend starke internationale Polizeikraefte und UN-Blauhelme deeskalierender Art unter der Hoheit des UN-Sicherheitsrates und mit Zustimmung der Konfliktparteien als "Puffer" zwischen Serben und Kosovo-Albanern zu stationieren, um den Waffenstillstand zu sichern.
  • Es ist unterlassen worden, ein ziviles "Entfeindungsprogramm" zu entwickeln, das auf Kooperation vor allem auch mit den reformwilligen Kraeften in Serbien und in Kosovo setzt.

6. Der Abschluss des in Rambouillet ausgehandelten "Friedensabkommens" ist bislang letztlich ausschliesslich deshalb nicht zustande gekommen, weil die Nato und ihre Mitgliedstaaten darauf bestanden haben und bestehen, dass Nato-Verbaende unter Nato-Kommando, nicht aber die UN mit einem starken "Blauhelm-Kontingent", die Einhaltung des Abkommens ueberwachen. Eine solche Politik trug letztlich erpresserische Zuege und haette auch die Rechtswirksamkeit eines solchen - unter Kriegsandrohung zustande gekommenen - Abkommens in Frage gestellt. Es war absehbar, dass nicht nur das Milosevic-Regime, sondern auch die serbische demokratische Opposition und die grosse Mehrheit der serbischen Bevoelkerung ein solches "Nato-Protektorat" ablehnen wuerden.

7. Es ist nicht die Schuld der UN-Organisation, dass sie bisher zu schwach war, um fuer eine friedliche Loesung des Kosovo-Konflikts sorgen zu koennen. Vielmehr hatten und haben gerade wichtige Nato-Staaten kein Interesse an einer "UN-Loesung" in Kosovo und ueberhaupt an einer funktionierenden und starken UN mit entsprechenden Kompetenzen. Es war und ist - wie auch die Debatten um die neue Nato-Strategie zeigen - offenkundiges Ziel, die Nato zu einer Interventionsallianz aufzubauen und zu etablieren. Auch am Beispiel Kosovos hat sich gezeigt:
Sofern die UN dabei nicht willfaehrig mitwirkt oder gar stoert, wird sie als uneffektiv diskreditiert, an der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gehindert und "weggedrueckt".

  • Es ist symptomatisch, dass die USA mit fast 2 Milliarden DM UN-Beitraegen in Rueckstand sind, so dass die UN schon aus finanziellen Gruenden kaum Handlungsfaehigkeit gewinnen kann.
  • Fast alle Nato-Staaten - mit den USA an der Spitze - haben sich bislang geweigert, dem UN-Sicherheitsrat fuer eine Ueberwachung eines Kosovo-Friedensabkommens gemaess Kap. VI der UN-Charta "UN-Blauhelme" oder auch notfalls gemaess Art. 43 der UN-Charta Truppenkontingente fuer Zwangsmassnahmen zur Verfuegung zu stellen.
  • Die Regierungen der USA, Frankreichs und Grossbritanniens und alle sie unterstuetzenden Regierungen sind unglaubwuerdig, wenn sie einerseits die UN als "handlungsunfaehig " kritisieren, weil die russische Regierung im UN-Sicherheitsrat von ihrem Vetorecht gegen eine Ermaechtigung der Nato zu militaerischen Zwangsmassnahmen gegen Serbien Gebrauch gemacht hat, waehrend sie andererseits zugleich selbst nicht bereit sind, die UN-Entscheidungsstrukturen zu reformieren, insbesondere auf ihr Vetorecht im UN-Sicherheitsrat zu verzichten.

II.

Der militaerische Angriff gegen Jugoslawien verstoesst in eklatanter Weise gegen die UN-Charta und geltendes Voelker- und Verfassungsrecht Auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Maerz 1999 (Az.: 2 BvE 5/99), die sich inhaltlich ausdruecklich nicht mit der Frage der Rechtsmaessigkeit der Bundeswehrbeteiligung an den Nato-Militaeraktionen gegen Jugoslawien befasst, muss festgestellt werden:

  1. Der Bundeswehreinsatz im Krieg gegen Jugoslawien verlaesst die Grenzen, die das "Out-of-area-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 gezogen hat. Nach dieser Entscheidung bietet Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes eine verfassungsrechtliche Grundlage lediglich fuer eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsaetzen, die im "Rahmen und nach den Regeln" eines Systems kollektiver Sicherheit stattfinden. Die Regeln der N-Charta und der Nato-Vertrag, der die Nato-Staaten ausdruecklich auf eine strikte Beachtung der UN-Charta und des geltenden Voelkerrechts verpflichtet, gestatten keinen voelkerrechtswidrigen Angriff.
  2. Dem voelkerrechtlichen Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 der UN-Charta unterfaellt "jede" Art der Anwendung militaerischer Waffengewalt.
  • Es gibt kein Voelkergewohnheitsrecht zur einzelstaatlichen "humanitaeren Intervention", da es dazu jedenfalls an der erforderlichen uebereinstimmenden Rechtsueberzeugung in der Staatengemeinschaft mangelt. Das "Recht zur humanitaeren Intervention" steht nach geltendem Voelkerrecht nur den Organen der UN zu.
  • Der UN-Sicherheitsrat hat weder eine eigene militaerische Zwangsmassnahme nach Art. 42 UN-Charta beschlossen noch dazu einzelne Nato-Staaten (Art. 42, 48 UN-Charta) oder die Nato als Regionalorganisation (Art. 53 UN-Charta) ermaechtigt.
  • Der Ausnahmefall des Art. 51 UN-Charta, der die Notwehr und Nothilfe zugunsten eines angegriffenen Staates rechtfertigt, liegt evidentermassen nicht vor, denn keiner der Nato-Staaten ist militaerisch angegriffen worden; kein angegriffener Staat hat um Nothilfe gebeten.
  1. Die Teilnahme der Bundeswehr an dem militaerischen Angriff auf Jugoslawien stellt zudem einen schwerwiegenden Bruch des der deutschen Wiedervereinigung zugrundeliegenden 2+4-Vertrages dar. Nach dessen Art. 2 ist es zwingendes geltendes Recht, dass das vereinte Deutschland "keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Uebereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen".
  2. Das deutsche Soldatengesetz verbietet in seinem § 10 Abs. 4 jedem militaerischen Vorgesetzten, voelkerrechtswidrige Befehle zu geben.
  3. Die Entscheidung der Bundesregierung, deutsche Soldaten im Rahmen der Nato in den Krieg zu schicken, setzt die Soldaten und ihre Vorgesetzten auch erheblichen strafrechtlichen Risiken aus. Denn wer an einem voelkerrechtswidrigen Krieg aktiv teilnimmt und dabei Menschen toetet, handelt voelkerrechtswidrig und kann sich nicht auf einen strafausschliessenden Rechtfertigungsgrund berufen.
  4. Der Nato-Angriff hat zudem auch prekaere Folgen fuer die Sicherheitslage der Nato-Staaten; wenn Russland dem angegriffenen Staat Jugoslawien militaerischen Beistand leisten wuerde, koennte es sich unter Umstaenden auf das Nothilferecht des Art. 51 UN-Charta berufen.

III.

Entgegen den Behauptungen der Nato und ihrer Mitgliedstaaten gibt es durchaus Alternativen zu den voelkerrechtswidrigen Bombenangriffen auf Jugoslawien

  1. Das Bombardement der Nato muss sofort beendet werden. Es ist den Menschen, die unmittelbar darunter zu leiden haben, keine Stunde laenger zuzumuten, darauf zu warten, ob die Nato oder das Milosevic-Regime den "laengeren Atem" hat. Die Nato darf nicht laenger die Luftwaffe der UCK sein; das Milosevic-Regime darf nicht laenger die Menschen in seinem Herrschaftsbereich fuer seine verfehlte Politik als Geiseln nehmen.
  2. Offenkundig finden die Kontrahenten ohne das Einschalten Dritter bisher nicht einmal zu einem Waffenstillstand. Deshalb muss UN-Generalsekretaer Kofi Annan schnellstmoeglich eine Vermittlungsinitiative ergreifen und zunaechst einen sofortigen Waffenstillstand aushandeln. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nach der UN-Charta darf er weder von einer Regierung noch von einer Autoritaet ausserhalb der UN Weisungen erbitten oder entgegennehmen (Art. 100 Abs. 1 UN-Charta ). Eines foermlichen Auftrages des UN-Sicherheitsrates bedarf er fuer eine solcheVermittlungs- und Friedensmission im Kosovokrieg nicht.
    Nach Art. 100 Abs. 2 der UN-Charta sind alle Mitgliedstaaten der UN verpflichtet, den ausschliesslich internationalen Charakter der Verantwortung des UN-Generalsekretaers zu achten und nicht zu versuchen, ihn bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben zu beeinflussen.
  3. Unter seinem Vorsitz sollten die Verhandlungen ueber eine friedliche Zukunft Kosovos (z. B. am UN-Sitz in Genf) unverzueglich wiederaufgenommen werden.Dabei muss der zentrale Fehler der bisherigen Rambouillet-Verhandlungen vermieden werden, naemlich ein Abkommen durch die Androhung eines militaerischen Nato-Angriffs erreichen zu wollen und ein "Nato-Protektorat" in Kosovo oder gar in ganz Jugoslawien anzustreben.
  4. Erstes Ziel dieser Friedensverhandlungen unter der "Schirmherrschaft" von Kofi Annan sollte es sein,
  • die fast erreichte Uebereinkunft ueber die zivilen Bestandteile des "Rambouillet-Paketes" festzuschreiben,
  • die Entsendung eines ausreichend starken, in Kosovo zu stationierenden "UN-Blauhelm-Kontingents" (mit mindestens 30 000 bis 50 000 Angehoerigen) unter UN-Hoheit mit Zustimmung der Konfliktparteien zur Durchsetzung und Ueberwachung eines Waffenstillstands zu erreichen,
  • wirksame Massnahmen zur Ueberwachung und Durchsetzung eines Waffenembargos zu vereinbaren.
  1. Die vielfaeltigen Verwerfungen und Spannungen auf dem Balkan beduerfen einer weiten politischen Perspektive zu ihrer Loesung. Die nationalistischen Rivalitaeten gilt es aufzuloesen zugunsten einer kooperativen Haltung zur Entwicklung der ganzen Region. Die Menschen aller Gruppierungen und Voelker muessen dadurch begreifen, dass sie gegeneinander nur verlieren werden, aber im Miteinander ueber ethnische Grenzen hinweg alle gewinnen koennen. Dazu bedarf es der Unterstuetzung aus ganz Europa und darueber hinaus.
  2. Die Perspektive besteht in der baldmoeglichsten Einleitung einer "Balkan-Kooperation", die als Ziel eine Verbindung mit der EU ermoeglicht. Daran koennen sich alle Staaten und Voelker beteiligen, die kooperationsbereit sind und auf gewaltsame Konfliktaustragung verzichten. Hierueber ist mit den Gesellschaften, also den Buerger/innen in Serbien, Montenegro, in Kosovo und den anderen Balkanstaaten, ein offener und oeffentlicher Dialog in den vielfaeltigsten Formen so zu entwickeln, dass er nicht von den Herrschenden unterbunden werden kann. Die Menschen selbst muessen ihr Interesse an einer solchen Perspektive begreifen und deshalb fuer Frieden und Versoehnung eintreten. Das waere gleichzeitig ein grosser Schritt in Richtung Demokratisierung und zunehmender gegenseitiger Toleranz. Beide sind wesentliche Schluessel zur Befriedung des Balkans.
  3. Aus dem Ausland, aus den vielen Staaten Europas muss die Botschaft von oben und unten kommen: Wir sind an der Seite derer, die auf Gewalt verzichten, ihren Geschwisterkampf beenden und sich zur Kooperation zusammenfinden. Diese Botschaft muss ganz ausdruecklich die serbische Bevoelkerung einschliessen und ansprechen. Dies haette eine enorme sozialpsychische Bedeutung, um das Trauma, Serbien muesste sich gegen die ganze Welt verteidigen, ueberwinden zu koennen. In diesem Zusammenhang sollte auch die baldmoeglichste Rueckkehr der Jugoslawischen Foederation in die OSZE auf die Tagesordnung gesetzt werden.
  4. Das politische Instrument, um eine solche Kooperation in Gang zu setzen, koennte eine institutionalisierte Dauerkonferenz sein, wie sie im Ost-West-Konflikt in der Form der "Konferenz fuer Sicherheit und Zusammenarbeit" (KSZE, heute OSZE) recht erfolgreich praktiziert wurde. Diese "Konferenz fuer Sicherheit und Zusammenarbeit auf dem Balkan" haette die Aufgabe, die Fundamente fuer eine gemeinsame Entwicklung zu erarbeiten, die mit einem "Balkan-Marshall-Plan" verwirklicht werden sollte. An diesem Vorhaben koennen sich alle Europaeischen Staaten beteiligen, die auf Gewalt gegeneinander verzichten. Dort ginge es nicht mehr um den scheinbar ethnischen Konflikt zwischen kosovo-albanischer, serbischer Bevoelkerung usw., sondern um den Dialog zwischen kooperationsbereiten Kraeften auf dem Balkan.
  5. Von der EU sollten Konsultationsgespraeche ueber eine solche Balkanzusammenarbeit, erforderliche Vorbereitungsschritte und Verfahren eingeleitet, aber auch die Bereitschaft zur materiellen Unterstuetzung eines solchen Vorhabens signalisiert werden. Westpolitiker werden nach den erforderlichen Finanzmitteln fragen. Doch eine solche Politik ist weit billiger als die militaerische Nato-Intervention, die woechentlich mehrere hundert Millionen DM kostet. Sie ist fuer alle, einschliesslich der EU-Staaten, viel zukunftstraechtiger und kann Fundamente fuer eine stabile Entwicklung auf dem Balkan legen.
  6. Im Sinne einer zivilen Konfliktbearbeitung koennen ferner die folgenden Instrumente wirksam sein:
  • Waffenrueckkauf-Programme,
  • Anhoerungen und Vermittlungsbemuehungen auf den verschiedenen Ebenen,
  • Gewaltfreiheitspakte auch in lokalen Bereichen,
  • Bildung von Wahrheits- und Versoehnungskommissionen (nach dem suedafrikanischen Modell).
  • Zu klaeren ist auch der Umgang mit Kriegsverbrechen, die wohl auf allen Seiten veruebt worden sind.
  • Es gilt, die Bedingungen fuer den Prozess der Konfliktbearbeitung guenstig zu gestalten, waehrend die Loesungen von den Kontrahenten selbst erarbeitet und vereinbart werden muessen.

 

  1. Die Entfaltung einer Perspektive fuer zukuenftige Entwicklung und Vertrauensbildung gehoeren zusammen. Darum ist es wichtig, dass nach Erreichung eines Waffenstillstandes auf vielen Ebenen (Kirchen, Gewerkschaften, Berufsverbaende, Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft usw.) Serien von Zusammenkuenften organisiert werden, in welchen Erwartungen und Moeglichkeiten der Entfaltung von Zusammenarbeit eroertert werden. Ganz in diesem Sinne sind alle Kraefte und Gruppierungen, die sich fuer eine friedliche, zivile Loesung einsetzen, zu unterstuetzen. Dies kann durch die Bereitstellung finanzieller Mittel erfolgen, durch Einladungen ins Ausland, um den Gruppen ein internationales Forum zu geben, durch Bereitschaft der Medien, die gewaltfreie Arbeit bekanntzumachen, durch die Ausrichtung von Regionalkonferenzen, auf denen sich Friedens- und Anti-Kriegsgruppen, Gruppen aus verschiedenen Staaten der Region besprechen und Zusammenarbeit vereinbaren koennen usw. Dabei muss die eigenstaendige Arbeit solcher Gruppen respektiert und Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden.
  2. Um eine solche Entwicklung zu ermoeglichen, muss nach Erreichung eines Waffenstillstandes der aktuelle Konflikt um den Status Kosovos entschaerft werden, ehe er spaeter unter der neuen Perspektive ueberprueft und geregelt werden kann. Es scheint daher sinnvoll, zunaechst eine vorlaeufige, moeglichst grosszuegige Autonomie-Regelung zu vereinbaren, die in bestimmten Intervallen entsprechend den gemachten Erfahrungen und der neuen Entwicklung im Rahmen der KSZE fuer Suedost-Europa zu ueberpruefen ist. In diesem Zusammenhang sollte der serbischen Seite die Aufhebung der verhaengten Sanktionen zum fruehestmoeglichen Zeitpunkt in Aussicht gestellt werden.
  3. Die humanitaere Hilfe, die die kosovo-albanische und serbische Bevoelkerung gegenwaertig benoetigt, ist nicht nur unter dem Aspekt der Linderung von Not zu begreifen, sondern auch als ein Signal an die Menschen dort, dass die europaeische Politik nun ein neues Verhaeltnis zu den Balkanstaaten sucht, das nicht mehr auf Militaeraktionen und geopolitischen Interessenkalkuelen wie in der langen Vergangenheit beruht, sondern auf der Einsicht, dass die europaeische Zusammenarbeit allen Menschen und Voelkern in diesem Kontinent zu dienen hat. Das ist freilich eine grosse Herausforderung fuer alle Europaeer.

[ dokument info ]
Copyright C Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 30.03.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 31.03.1999


Alles zum Krieg in Jugoslawien

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